Infektionswelle in Wien: Und wie geht's dem Gesundheitssystem? - FALTER.morgen #476
-kopie-3-1671459897.png)
Die Infektionswelle bringt die Gesundheitsversorgung an den Rand des Zusammenbruchs – Ärztinnen und Pfleger erzählen >> Zu viel ÖVP-Nähe: Niederösterreichs ORF-Landesdirektor muss vorläufig gehen. Oder doch nicht? >> Kündigungswelle beim Wiener Startup GoStudent gefährdet bis zu 200 Jobs >> Vogel der Woche: Der Kleiber
Wetterkritik: Nix Neues – windig, trüb und kalt bei maximal 2 Grad in der Innenstadt (was sich dann schnell wie 0 oder weniger anfühlt). Aber Wetterfühlige können schon die Kopfwehpulver auspacken: Später in der Woche wird es ungewöhnlich warm.
Guten Morgen,
besser gesagt: Hoffentlich haben Sie wirklich einen guten Morgen. Angesichts der derzeitigen Infektionswelle ist ja nicht auszuschließen, dass es auch Sie oder jemanden aus Ihrer Familie erwischt hat. Wenn das der Fall sein sollte, dann gute Besserung! Hoffentlich nicht so schlimm ist, dass Sie zur Ärztin, auf eine Ambulanz oder sogar ins Spital müssen.
Denn dort geht es momentan vielfach gar nichts mehr. Es gibt so viele Krankheitsfälle, dass der Betrieb in manchen Bereichen am Rande des Zusammenbruchs steht. Vor allem Kinder sind derzeit betroffen, viele von ihnen laborieren an regelrechten Virencocktails. Und gleichzeitig sind manche Medikamente, die gegen ihre Beschwerden helfen würden, nicht zu bekommen.
Wir haben uns bei Ärztinnen und Pflegepersonal in Wien umgehört, wie sie die Lage einschätzen. Bilanz vorab: Bei den Allgemeinmedizinern, auf den Ambulanzen und den Normalstationen ist die Lage mehr als angespannt – im Intensivbereich glücklicherweise aber nicht.
Mehr darüber gleich in den Protokollen einer Kinderärztin mit Kassenvertrag, einem Intensivmediziner und einem Pfleger aus Wien.
Außerdem im heutigen FALTER.morgen: Soraya Pechtl erzählt Ihnen über eine Kündigungswelle beim einst gefeierten Wiener Nachhilfe-StartUp GoStudent. Und Klaus Nüchtern beschreibt als letzten Vogel im heurigen Jahr wieder ein gefiedertes Gangstergesicht – den Kleiber.
Einen schönen Tag wünscht
Nina Horaczek

Auch zwischen den Jahren können Sie im Haus der Geschichte Österreich in der Neuen Burg täglich jüngste Geschichte und Gegenwart entdecken! Während der gesamten Weihnachtsferien sind die Öffnungszeiten erweitert. Neben einem abwechslungsreichen Führungsangebot wartet auch auf die jüngsten Geschichteinteressierten ein spannendes Programm mit Rätselrallye und Ideenwerkstatt.
Last-Minute-Geschenk gesucht? Verschenken Sie mit der hdgö-Jahreskarte 365 Tage voller Zeitgeschichte und gratis Eintritt zu exklusiven Veranstaltungen.
„Wir sind wirklich am Anschlag“
Drei Ärztinnen und Pfleger aus Wien erzählen über die aktuelle Situation in Ordinationen und Spitälern.
Nicole Grois, Kassen-Kinderfachärztin im 9. Bezirk
„Wir sind derzeit wirklich am Anschlag: Das Wartezimmer ist bummvoll und gleichzeitig ist permanent jemand aus dem Team krank. Wir behandeln Kinder, die sich nicht nur ein Virus eingefangen haben, sondern einen Cocktail aus vier, manchmal sogar fünf Erregern – RSV, Influenza, Rhinoviren, Corona, alles zusammen. Dazu kommen noch die katastrophalen Engpässe bei ganz banalen Arzneimitteln: Medikamente zum Inhalieren, einfache Antibiotika fehlen. Für die Patientinnen und Patienten ist das nicht nur quälend, sondern auch gefährlich. Glücklicherweise müssen die wenigsten Kinder ins Spital und noch weniger auf eine Intensivstation.
.jpg)
„Wir behandeln Kinder, die sich nicht nur ein Virus eingefangen haben, sondern einen Cocktail aus vier, manchmal sogar fünf Erregern – RSV, Influenza, Rhinoviren, Corona, alles zusammen.“ © APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas
Und wir sind alle erschöpft: Zwei Jahre Pandemie, dazu der Personalmangel bei den Kassenärzten. Ich kenne praktische Ärztinnen, die sehen 80 Patienten pro Tag, manchmal sogar über 100. Viele Jungen gehen lieber in die Privatmedizin. Jemanden zu finden, der über die Feiertage die Vertretung übernimmt, grenzt ans Unmögliche. Ich fürchte, dass Weihnachten heuer überhaupt Land unter ist.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Ordination für ein paar Tage zusperre, aber ich kann nicht mehr. Kürzlich habe ich mit einer Kollegin geredet, die gemeint hat: Noch einen Winter wie diesen halten wir nicht durch. Mir geht es genauso.
Das System wird nicht kippen, es ist bereits gekippt.“
„Einige Kollegen sind mittlerweile im Burnout“
Intensivmediziner in der Kinderklinik des Allgemeinen Krankenhauses (AKH)
„Bei uns auf der Kinderintensivstation gehen die Influenza- und die RSV-Fälle derzeit etwas zurück. Das meiste müssen da die Kolleginnen und Kollegen auf den Normalstationen stemmen. Nur wenn diese Kinder mehr Sauerstoff benötigen, als sie durch eine Atemunterstützung mit Sauerstoffbrille bekommen, werden sie zu uns auf die Intensiv verlegt. Aber da haben wir auch schon schlimmere Zeiten erlebt.
Im Herbst 2021 war so viel los, dass wir die schwerkranken Kinder wirklich zwischen den Spitälern hin- und herschieben mussten, weil es so wenige freie Betten gab. Das kann sich aber noch ändern, weil wir erst mitten in der RSV-Saison sind und die Influenza-Fälle derzeit noch mehr zu werden scheinen. Zusätzlich ist die Arbeitssituation sehr angespannt. Weil überall Personal fehlt, müssen wir viel öfter kurzfristig einspringen. Einige Kollegen sind mittlerweile im Burnout.“
„Wir sind immer voll“
Pfleger aus einer chirurgischen Intensivstation des Gesundheitsverbunds
„Wir sind immer voll, aber das ist in ganz Wien so. Was sich stark geändert hat, sind die Besuche der Angehörigen. Weil man nur mit einem negativen PCR-Test zu Besuch auf die Station kommen durfte, haben sehr viele Patienten gar keinen Besuch bekommen. Insgesamt ist die Stimmung in der Pflege nach fast drei Jahren Pandemie mehr als gedämpft. Es fehlt einfach die Wertschätzung.
Nur ein Beispiel: Die türkis-grüne Regierung hat angekündigt, dass wir alle 2.000 Euro Corona-Bonus bekommen. Aber für mich zum Beispiel mit meinen 30 Wochenstunden im Job bleibt nach Abzug des Arbeitgeberanteils und der Steuern am Ende gerade einmal sechshundert Euro netto übrig. Das regt bei uns auf der Station alle ziemlich auf.“
Papier ist geduldig – doch Weihnachten wartet nicht!
Ob einzigartige Handschrift des 18. Jahrhunderts oder seltener Renaissancedruck, unter 30.000 Büchern und Autographen findet ein jeder Altpapierfreund bei Inlibris die besondere Gabe fürs Fest. Und das Beste: Der Eilbote bringt die Lieferung noch rechtzeitig zum Heiligen Abend – natürlich kostenlos.
Medien

Der Nächste, bitte!
Verwirrung im ORF: Niederösterreichs Landesdirektor Robert Ziegler wird wegen zu großer ÖVP-Nähe vorläufig abgelöst. Oder doch nicht?
Brechen im ORF neue Zeiten an? Nach dem Abgang von ORF-Chefredakteur Matthias Schrom muss nun der nächste Chef harte Kritik seiner Redakteure anhören. Auf den ersten Blick wurde er suspendiert. Und auf den zweiten?

Abgelöst: Der niederösterreichische ORF-Landesdirektor Robert Ziegler © ORF/Hans Leitner
Nachdem Standard, Presse und Spiegel über parteipolitisch motivierte Interventionen von ORF-Landesdirektor Robert Ziegler berichtet hatten, forderte der ORF-Redakteursrat per Aussendung dessen Suspendierung.
Ziegler wird durch interne Chats schwer belastet. Er soll ÖVP-nahe Unternehmen vor unangenehmer Berichterstattung geschützt und immer wieder ÖVP-Politiker in Beiträge hineininterveniert haben.
ORF-General Roland Weissmann gab gestern Abend daher folgendes bekannt: „Landesdirektor Robert Ziegler hat mich heute gebeten, seine Zuständigkeiten hinsichtlich der aktuellen Berichterstattung, insbesondere der Berichterstattung zur Landtagswahl am 29. Jänner 2023, bis zum Vorliegen des Berichts der Evaluierungs-Kommission jemand anderem zu übertragen.“
Die Ankündigung verwirrt. Denn noch wenige Stunden zuvor hatte Weissmann per Aussendung festgehalten, „dass die redaktionelle Verantwortung für jegliche Berichterstattung des Landesstudios weiterhin bei Chefredakteur Benedikt Fuchs und nicht beim Landesdirektor liegt“.
Was also ist Ziegler nun weggenommen worden? Eine Verantwortung, die gar nicht bei ihm lag. Ein ORF-Redakteur glaubt, das ganze Manöver diene nur dazu, von den Verfehlungen Zieglers abzulenken und der ÖVP im NÖ-Wahlkampf Luft zu verschaffen. Er sei weder suspendiert, noch beurlaubt worden.
Weissmann hat nun Hörfunkdirektorin Ingrid Thurnher damit beauftragt, interimsmäßig Zieglers Job zu übernehmen. Eine Untersuchungskommission wird sich nun Zieglers mutmaßlichen Verfehlungen annehmen. Der ORF-Redakteursrat wird wohl darauf zu achten haben, dass er die Sache nicht einfach aussitzt.
Scheuba fragt nach
... bei Florian Klenk
Florian Scheuba berichtet über verblüffende Datenschutz-Neuinterpretationen in Niederösterreich und bemerkenswerte Sachbuch-Kritiken eines Kurier-Experten. Mit dem FALTER-Chefredakteur spricht er über das Wort des Jahres, von Lobbyisten erdachte Gesetze und welche Justiz-Schmankerln uns 2023 bringen wird. Hier geht's zum Podcast.
Wirtschaft

Aufstieg und Fall eines Einhorns
Das Wiener Startup GoStudent strauchelt. Das Unternehmen zieht sich aus immer mehr Märkten zurück. Allein in Österreich sollen bis zu 200 Mitarbeiter entlassen werden.
Wer schnell aufsteigt, kann tief fallen. Das gefeierte Nachhilfe-Startup GoStudent lernt das gerade auf die harte Tour. Allein in Österreich soll das Unternehmen 100 bis 200 (von insgesamt 500) Mitarbeiter zur Kündigung angemeldet haben, wie FALTER.morgen von einer langjährigen Mitarbeiterin erfuhr. Auch sie musste im Dezember ihre Sachen packen.
Weltweit sind laut der amerikanischen Nachrichtenseite Business Insider 400 bis 600 von 1.600 Mitarbeiter ihren Job los. Das ist mehr als ein Drittel des gesamten Personals. Was wurde aus Österreichs Einhorn?
-(1).webp)
Gregor Müller (li.) & Felix Ohswald (re.) gründen 2016 das Nachhilfe-Startup-GoStudent © APA/GOSTUDENT/FELIX HOHAGEN
Noch im Jänner hatte GoStudent 300 Millionen Euro von Investoren eingesammelt. Die Unternehmensbewertung von drei Milliarden Euro brachte die beiden Wiener Gründer Felix Ohswald und Gregor Müller auf die Titelseite des Wirtschaftsmagazins Trend. Ihr Motto „be fast or be last”, hing als Plakat in ihrem Meeting-Raum: Schnelles Wachstum um jeden Preis. Anfang 2022 lernten Schülerinnen und Schüler in 22 europäischen und amerikanischen Ländern über die Online-Plattform – 16 dieser Länder erschloss das Unternehmen innerhalb eines Jahres.
Aber diese Zeiten sind vorbei. Bereits im September haben wir berichtet, dass die Finanzlage von GoStudent nicht mehr allzu rosig ist. Ohswald und Müller hatten damals in einem Businessmeeting angekündigt, bis Jahresende weltweit 200 Mitarbeiter entlassen und sich aus dem US-Markt zurückziehen zu wollen. Die Gründer waren im Herbst dennoch um Beruhigung bemüht: Die Kündigen seien Teil eines Strategiewechsels – weg vom Hyper- hin zu einem gesunden Wachstum. „Wir sind super gesund und stabil. Wir werden solange existieren, wie wir wollen”, sagte Ohswald.
Innerhalb von vier Monaten hat sich die Zahl der Kündigungen nun aber verdreifacht. GoStudent zieht sich aus dem lateinamerikanischen und kanadischen Markt zurück. „Schon ab Mai war relativ klar, dass es für uns schwierig wird”, erzählt die ehemalige Mitarbeiterin Katharina, die ihren echten Namen nicht im Newsletter lesen will. Investoren hätten weniger Geld zugeschossen. Ohswald führt das in einem Meeting, aus dem Business Insider zitiert, auf die unsichere Weltwirtschaftslage zurück. Es gibt nur ein Problem: Ohne Fremdkapital trägt sich das Geschäftsmodell nicht. „Wir sind in den meisten Märkten weit weg davon, profitabel zu sein. Jetzt zieht GoStudent die Notbremse, bevor gar kein Geld mehr da ist”, sagt Katharina.
Und wie geht es jetzt weiter? Ohswald und Müller wollen dem Vernehmen nach im Jänner bekannt geben, wie die Zukunft von GoStudent aussieht.
Wir haben GoStudent gestern um 9 Uhr früh eine Anfrage um Stellungnahme geschickt und um Antwort bis 15 Uhr, nötigenfalls auch bis zum Abend gebeten. Um 16 Uhr teilte uns das Unternehmen telefonisch mit, das sei nicht möglich, kündigte aber für heute, Dienstag, ein ausführliches Statement zum Sachverhalt an – das liefern wir Ihnen morgen natürlich nach.
Musikalisches Verwöhnprogramm beim Winter im MuseumsQuartier!
Weihnachtsstimmung pur im MQ mit Hofmusik, DJ-Sounds, Eisstockbahn, Winter Race, künstlerischen Lichtprojektionen und Punschgenuss!
DJ-Sets von S-Bahn Glitzer und Anna Leiser
Das MQ Hofmusik-Konzert von Lil Julez am Do 22.12., 19h bei freiem Eintritt im MQ Haupthof
Winter im MuseumsQuartier bis 23.12. – hier geht’s zum Programm!
Stadtnachrichten
Die Hälfte aller Studentinnen und Studenten hat im Monat weniger als 1.060 Euro zur Verfügung, eine Vorauszahlung von 1.200 Euro für Strom kann existenzbedrohend sein. Studis, deren monatliche Fixkosten ihre Einnahmen übersteigen, können ab sofort ein Stipendium beantragen. Die Stiftung der Uni Wien hat für den Sozialtopf der ÖH nämlich zusätzliche 50.000 Euro bereitgestellt, um die Teuerung für sozial bedürftige Studierende etwas abzufedern. Das Antragsformular finden Sie hier.
Unterstützung gibt es auch für Kleinunternehmen und Nahversorger. Firmen mit maximal 50 Mitarbeitern können ab 1. Februar eine Förderung der Stadt beantragen, wenn sie Energiesparmaßnahmen umsetzen. Voraussetzung: Die Investitionssumme muss mindestens 1.000 Euro betragen. Gefördert werden 60 Prozent, aber maximal 20.000 Euro pro Unternehmen. Mehr Infos finden Sie hier.
Frage des Tages
Warum wurde Wiens erste Wasserleitung 1841 nur teilweise in Betrieb genommen?
1. Das Geld ging aus und der Bau konnte erst fünf Jahre später fertiggestellt werden.
2. Das Magistrat hatte erhebliche Baumängel entdeckt. Die Bauarbeiter mussten von vorne beginnen.
3. Der Bauherr hatte sich krankheitsbedingt zurückgezogen. Es dauerte Jahre, bis ein neuer gefunden wurde.
Auflösung von gestern: In Wien gibt es pro tausend Einwohner 375 Pkw (nicht 250 oder 460) – also deutlich weniger als im österreichischen Schnitt, der bei 570 Pkw pro tausend liegt.
Event des Tages

Astronomie
Werner Gruber, Direktor des Planetariums Wien, erzählt wenige Tage vor Weihnachten über den Sternenhimmel am Tag von Christi Geburt. Angelehnt an bekannte Weihnachtslieder erklärt er zudem, warum es „glei dumpa“ wird und „wie viel Sternlein stehen“. Diese Melodien sorgen auch gleich für die beschauliche Adventstimmung unter der Kuppel des Planetariums.
Planetarium Wien, 19.30
Kinderbücher

Estrella Ortiz: Schau mal, wer da kommt (ab 2 Jahre)
Etwas, das es nur selten gibt: ein Pappbilderbuch in drei Sprachen. In „Schau mal, wer da kommt“ werden Kindern Tiere auf Deutsch, Ukrainisch und Spanisch vorgestellt. Manche Tiere fliegen, andere trotten langsam vorbei, andere galoppieren. Dieser Verlag, der auf mehrsprachige Bücher spezialisiert ist, hat ein wirklich schönes Tierbuch für Kleinkinder zum Unter-den-Christbaum-Legen veröffentlicht. Kleinen Kindern wird so gezeigt, dass es auch andere Sprachen gibt auf der Welt, und größeren, wie unterschiedlich Schriften aussehen.
Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at
Myriam Lang: Heute kocht das kleine Känguru (ab 4 Jahre)
Hier kochen die Kinder gemeinsam mit einem Känguru-Kind: ein schön illustriertes vegetarisches Jahreszeiten-Kochbuch mit außergewöhnlichen Rezepten. Meine Kunden haben schon welche nachgekocht und waren begeistert.
Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at
Piotr Socha & Monika Utnik-Strugala: Das Buch vom Dreck (ab 10 Jahre)
Das ist eine unglaublich lustige, überraschende und kluge Geschichte des Drecks von der Antike bis heute: Was ist Schmutz? Was macht uns krank? Wie hat sich Hygiene verändert? Hier können Eltern und Kinder viel lernen.
Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at
Vogel der Woche

Birds of Crime V:
Der Kleiber
Weil der Steinschmätzer gerade in Afrika abhängt, werde ich die „Birds of Crime“-Serie vorerst mit dem einzigen saisonal noch verfügbaren Vogel beenden. Dass dies zeitnah zu der morgen erscheinenden „Best of Böse“-Ausgabe des FALTER geschieht, darf ruhig als Ausdruck der Hochachtung verstanden werden, denn von allen Verbrechervögeln ist der Kleiber gewiss der eleganteste, pfiffigste und der Gewalt abgeneigteste. Er ist sozusagen der Fassadenkletterer unter den Vögel. Das englische Wort dafür lautet cat burglar – was im ornithologischen Kontext allerdings etwas unpassend klingt.

Hat in Sachen Pfiffigkeit fraglos den Schnabel vorn: Der Kleiber © FALTER/Nüchtern
Das mit dem Fassadenklettern trifft es trotzdem sehr gut, denn der Kleiber ist der einzige Vogel der „kopfüber“ Baumstämme runterlaufen kann. So steht es jedenfalls überall zu lesen, obwohl es eigentlich korrekterweise „kopfunter“ heißen müsste. Wie so oft ist das Englische auch hier präziser: nuthatch upside down. Diese Fähigkeit unterscheidet den Kleiber sowohl von den Spechten als auch vom Baumläufer. Man könnte sie als Unterscheidungsmerkmal ins Treffen führen, wäre der Kleiber mit seiner schwarzen Augenbinde, seinem grauen Federkleid und der rostorangen Brust nicht ohnedies unverwechselbar.
Der Kleiber wird – wie man ebenfalls überall nachlesen kann – auch „Spechtmeise“ genannt. Die Bezeichnung leuchtet ein, ich bin aber noch nie jemanden begegnet, der sie tatsächlich verwendet. Es handelt sich meines Erachtens um evidenzbefreiten Blödsinn, der aber selbstverständlich auch von den sauberen Gebrüdern Roth verzapft wird: „Gemeinhin heißt man ihn ,Spechtmeise‘“, beten die beiden in ihrer „Kritik der Vögel“ – Untertitel: „Klare Urteile über Kleiber, Adler, Spatz und Specht“ – den Unfug unüberprüft nach.
Hingegen trifft zu, dass – wie die Roth-Bros. ebenfalls schreiben –, der Kleiber die Einfluglöcher zu den Bruthöhlen anderer Vögel, die er in einem unfriendly takeover bezogen hat, mit Lehm so verschmiert, dass er selbst grad gut durchpasst. Das ist nicht nett, aber schon sehr schlau und hat dem Kleiber auch den einzigen Namen eingetragen, der für ihn in Verwendung ist: Kleiber nämlich. Das leitet sich vom mittelhochdeutschen Verb „kleiben“ ab, was auf Neuhochdeutsch so viel bedeutet wie „Das Einflugloch zu einer diebisch erschlichenen Bruthöhle so mit Lehm verschmieren, dass der ursprüngliche Besitzer nicht mehr reinkann.“
In Sachen Pfiffigkeit hat der Kleiber fraglos den Schnabel vorn. Der ist ziemlich lang und spitzig sowie hervorragend dazu geeignet, Spinnen und Insekten aus den Rindenritzen zu fieseln. Die Ruffreudigkeit des Kleibers ist legendär. Er macht „twätt“ oder „zwätt“ und „djüdjü“, „wüwü“, „wiwiwi“ oder sonst irgendwie. Ich aber muss – und ganz gewiss als einziger Mensch auf der Welt – dabei immer daran denken, wie Steve Martin im „Pink Panther“-Remake versucht, das „would“ aus dem Satz „I would like to buy a hamburger“ hinzukriegen. Schon sehr lustig. Findet übrigens auch der Kleiber. Was für ein famoses Kerlchen!
Übrigens: Klaus Nüchtern zwitschert als @ClousInTheSky auf Twitter.

Das FALTER-Abo bekommen Sie hier am schnellsten: falter.at/abo
Wenn Ihnen dieser Newsletter weitergeleitet wurde und er Ihnen gefällt, können Sie ihn hier abonnieren.