Der Spindoktor von Sebastian Kurz über seine Tricks - FALTER.morgen #511

Versendet am 15.02.2023

Sebastian Kurz' ehemaliger Spindoktor Gerald Fleischmann beschreibt in einem Buch seine Tricks im Umgang mit den Medien – und das wirft ein paar Fragen auf. Wir haben sie ihm gestellt >> Versagen die Wiener Neos? Teil 3: Die Horrorbehörde MA 35 >> Film-Tipps von Michael Omasta 

Wetterkritik: Gestern früh ist nicht einmal den Wetterleuten im Ö1-Morgenjournal etwas anderes eingefallen als ein knappes „Wie gehabt“– wie soll es uns da besser gehen, wenn sich daran auch heute nichts ändert? Teils nebelig-trüb, teils sonnig bei 5 Grad. Aber das wird sich im Lauf der Woche ändern, versprochen.


Guten Morgen!

Wenn der Falter mit dem türkisen „Mister Message Control“ Gerald Fleischmann zu tun hatte, war das meistens etwas angespannt. Operation Ballhausplatz, ÖVP Files: unsere Themen gehörten eher zu jenen, die Fleischmann – Sebastian Kurz' wichtigster PR-Mann und Spindoktor – gerne mit einer seiner vier Taktiken zur Abwehr kritischer Fragen beantwortete: „Verräumen Sie Ihre News in Bigger News, verräumen Sie Ihren Mist in der Saure-Gurken-Zeit der Ferien. Verunmöglichen Sie einen Faktencheck. Zerstreuen Sie die Fakten und stiften Sie damit Verwirrung.“ 

Diese vier und viele andere Methoden zählt Fleischmann in seinem soeben erschienen Buch auf. Gut möglich, dass er damit die vierte gerade genannt Taktik verfolgt: Fakten zerstreuen und Verwirrung stiften. Denn gegen die ÖVP wird wegen Korruptionsverdacht ermittelt, gegen Fleischmann selber auch. Es geht um manipulierte, mit Steuergeld bezahlte Umfragen. Machen doch alle! Ist Teil des Geschäfts! So ist nun mal die schmutzige Praxis zwischen Politik und Medien! Die Presse, die Fleischmann mit einem Wolfsrudel vergleicht, braucht eben hin und wieder ein Filetstück zum Fraß, das lenkt sie ab und hält sie beschäftigt.

Solche vermeintlichen PR-Weisheiten verbreitet Fleischmann in seinem – durchwegs launig und kurzweilig – geschriebenen Buch. Die meisten Medien griffen das begierig auf, ganz so, als wäre sein Buch eines dieser verlockenden Filetstücke. Irgendwas mit Kurz geht halt immer und bringt Clicks. Die wenigsten hinterfragten die Hidden Agenda des türkisen Strategen. Ich habe das gemacht. Was er antwortet und wo er sich rausredet, lesen Sie gleich unten (das gesamte Interview finden Sie im heute erscheinenden Falter).

Danach folgt der dritte Teil von Soraya Pechtls politische Bilanz der Wiener Neos, diesmal geht es um die „Horrorbehörde“ MA 35. Und dann endet heute nach 15 Folgen auch Thomas Rieglers großartige Serie „Geheimes Wien“: Der Historiker und Geheimdienstspezialist hat uns dabei an Orte in der Stadt geführt, die in den vergangenen Jahrzehnten – oftmals völlig unbemerkt – zum Schauplatz von Agentenumtrieben, -tragödien, aber auch -komödien geworden sind. Wir bedanken uns und hoffen auf eine Fortsetzung. Ab kommender Woche stellen Vereine aus Wien jeden Mittwoch sich und ihre Anliegen vor.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen

Barbara Tóth


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„Ich werde immer mit ihm verbunden werden“

Gerald Fleischmann, ehemals wichtigster Spindoktor von Sebastian Kurz, über sein Verhältnis zu den Medien und seinem früheren Chef.

Er sei „ein Fan des aufklärenden Journalismus“, sagt Gerald Fleischmann © FALTER/Heribert Corn

Falter: Gleich am Anfang Ihres Buches postulieren Sie, dass Medien grundsätzlich eher links sind und meistens Meinungsjournalismus machen. Das klingt sehr nach dem Spin der ÖVP, die einen Schuldigen sucht, wenn sie nicht erfolgreich ist.

Fleischmann: Nein, meine These ist eine andere, wie Sie im Buch lesen können: Wer als Junger nicht links ist, hat kein Herz, wer im Alter nicht konservativ ist, kein Hirn, sagt man. Im Beruf des Journalisten muss man immer jung bleiben, weil man kritisch bleiben und alles hinterfragen muss. Deswegen gelten viele Journalisten als links. Mit dem Meinungsjournalismus ist es etwas anderes. Den sehe ich kritisch. Ich bin ein Fan des aufklärenden Journalismus.

Dann müssten Sie Medien wie Falter, profil, Standard oder ORF lieben. Das sind aber genau jene, gegen die die ÖVP immer wieder kampagnisiert. Warum?

Erst kürzlich hat mich ein hochrangiger Politiker angerufen: Das geht so nicht mehr. Was ist los mit diesen Journalisten? Ich halte das nicht mehr aus. Ich hab ihm gesagt: Schau dir an, was für ein Privileg du hast. Du kannst gestalten, Gesetze machen. Und dann jammerst du wegen ein paar medialer Nadelstiche? Das ist der Preis, den du zahlen musst für die Gnade, die nur wenige haben: gestalten zu dürfen.

Aber Sie selbst schreiben, dass Kurz Opfer von einem „nicht demokratisch legitimierten Sturz durch eine vereinigte linke Schmutzkübel-Armada“ wurde. Warum diese Dolchstoßlegende?

Es gibt viele Menschen, die das so sehen.

In Ihrer Partei und Sie persönlich vor allem.

Die einen sehen ihn als Sauron aus „Herr der Ringe“, andere als Helden Siegfried. In der Demokratie gibt es eben verschiedene subjektive Wahrheiten, die darum ringen, zur allgemein anerkannten Wahrheit zu werden. Jede dieser unterschiedlichen Sichtweisen ist berechtigt.

Sie beschreiben auch, wie sich Politiker gegen schlechte Presse wehren sollen. Sie nennen das „kontrollierte Sprengung“ oder „burying bad news“. Ihre Tipps: „Verräumen Sie Ihre News in Bigger News, verräumen Sie Ihren Mist in der Saure-Gurken-Zeit der Ferien. Verunmöglichen Sie einen Faktencheck. Zerstreuen Sie die Fakten und stiften Sie damit Verwirrung.“ Ist es wirklich statthaft, als Pressesprecher eines Bundeskanzlers solche Methoden anzuwenden?

Aber alle Pressesprecher machen das, seit Bruno Kreiskys Zeiten und wohl noch länger. Man ist Makler, Verkäufer und Dienstleister.

Wie viel Einfluss hat man als Spindoktor? Anders gefragt: Was ist zuerst da – der griffige Slogan oder der politische Inhalt?

Ohne Substanz funktioniert auch die beste Vermarktung nicht.

War das nicht das Kernproblem der Ära Kurz?

Nein. Am Ende gibt es ein Gesetz, ob es positiv oder negativ wahrgenommen wird, ist eine Frage des „Spins“, also des Drehs im Verkauf. Aber Gesetz bleibt Gesetz. Der Familienbonus von 1500 Euro, der wirkt beispielsweise unabhängig vom Spin.

Wollten Sie sich mit diesem Buch von Kurz emanzipieren?

Nein, ich werde immer mit ihm verbunden werden.

Das gesamte Interview lesen Sie im aktuellen Falter (mit 4-Wochen-Testabo kostenlos). Mit der ÖVP und ihrem Verhältnis zu den Medien hat sich auch Florian Klenk in seinem gestrigen FALTER.maily beschäftigt.


Stadtnachrichten

Wien ist in den vergangenen 20 Jahren um nahezu 400.000 Einwohnerinnen und Einwohner gewachsen und hält jetzt bei einer Bevölkerung von 1.982.442 Menschen – das geht aus einer aktuellen Zählung des Statistischen Zentralamts hervor.

Der einwohnerstärkste Bezirk ist immer noch Favoriten (218.401), gefolgt von Donaustadt (212.691). Der kleinste (wenig überraschend) die Innere Stadt (16.623), wo im Gegensatz zu allen anderen heute auch weniger (nämlich rund 900) Leute leben als 2003. Aktuell haben knapp 680.000 Personen in Wien keine österreichische Staatsangehörigkeit, das ist fast ein Drittel aller in Österreich lebenden Ausländer.


Die Neubaugasse ist ramponiert – und das nur zwei Jahre, nachdem die Stadt sie großzügig umgestaltet hat. Ein paar Bäume, einen Trinkbrunnen und versickerungsfähiges Pflaster hat die Straße bekommen. Nur wird das jetzt zum Problem, wie der ORF gestern berichtete: Denn der neue Bodenbelag hält der Linie 13A mit ihren 17 Tonnen schweren Gelenkbussen nicht stand. An allen drei Haltestellen in der Begegnungszone Neubaugasse gäbe es bereits Fahrbahnschäden.

Hätte man den Belag nicht früher auf die Belastung testen können? „Die Pflasterung, wie sie in der Neubaugasse umgesetzt wurde, ist eine bewährte Bauweise, die dem Stand der Technik entspricht. Eine Busspur, die in hohen Frequenzen mit großen Gelenkbussen befahren wird, derart auszugestalten, war ein Novum", heißt es von der zuständigen MA28 (Straßenverwaltung und Straßenbau). Die entstandenen Schäden sollen übrigens „so rasch wie möglich” behoben werden. Bezahlen wird das laut MA28 der Auftragnehmer.

Und wie geht es dann weiter? Die Magistratsabteilung arbeite an einer Lösung, damit es in zwei Jahren nicht die nächsten Schäden gibt, heißt es. Wie diese aussehen soll? Unklar. Die Pflasterung soll jedenfalls erhalten bleiben.


Serie: Versagen Wiens Neos?

Soraya Pechtl

Die Horrorbehörde

Das Totalversagen bei der MA 35 ist legendär. Jetzt hat der Stadtrechnungshof festgestellt, dass ein Großteil der Missstände noch immer besteht”.

Karl Mahrer, Landesparteiobmann der ÖVP

17. Jänner 2023: Zahlreiche Journalisten zieht es in einen Keller in der Wiener Zollergasse. Die Organisation SOS-Mitmensch hat für diesen Tag einen Zwischenbericht zur Einwanderungsbehörde MA 35 angekündigt. Ein dankbares Thema. Die Behörde steht seit Jahren massiv in der Kritik: Unfreundliche Mitarbeiter, lange Verfahrensdauern, verschlampte Dokumente – die Liste ist lang und der Bericht von SOS-Mitmensch kritisch. Zu wenig habe sich in den vergangenen Jahren verändert, so der Tenor. „Missstände bei der MA 35”, ist tags darauf in den Zeitungen zu lesen. Auch der Stadtrechnungshof nahm die Einwanderungsbehörde kürzlich unter die Lupe und hatte einiges zu beanstanden. 

Die MA35 kämpft gegen die eigene Behäbigkeit. © APA/GEORG HOCHMUTH

Dabei hatte Wiederkehr kurz nach Amtsantritt eine große Reform angekündigt: Rund 60 zusätzliche Mitarbeiter bekam die Behörde im Vorjahr, heuer kommen nochmal 93 im Bereich Staatsbürgerschaft dazu. Eine telefonische Serviceline wurde eingerichtet und die Behörde sollte endlich einen digitalen Akt bekommen, anstatt Formulare mit dem Kugelschreiber auszufüllen und abzuheften. Die Erwartungen waren hoch. Hat der Stadtrat zu viel versprochen?

Die MA35 kämpft gegen die eigene Behäbigkeit. Rund 500 Beamte arbeiten in der MA 35,Veränderungen passieren nicht von einem auf den anderen Tag. Das weiß auch Alexander Pollak von SOS-Mitmensch: „Christoph Wiederkehr hat nicht so viel weitergebracht, wie wir uns wünschen würden”, sagt er, „aber fairerweise muss man ihm auch Zeit lassen."

Die MA 35 war bislang ein Stiefkind der Stadtregierung. „Die Missstände bei der MA 35 sind nicht neu. Wiederkehr hat viele Probleme geerbt. Aber auch mir geht die Reform zu langsam”, sagt Migrationsforscherin Judith Kohlenberger, die die Stadt beim Thema Integration berät. Die größte Baustelle sind nach wie vor die Staatsbürgerschaftsverfahren. Sie dauern sehr lange, oft mehrere Jahre. Allein bis Antragsteller einen Termin bei der Einwanderungsbehörde bekommen, vergehen Monate. 

Zur Wahrheit gehört aber auch: Fortschritte gibt es sehr wohl. Der Rechnungshof schreibt, dass die Reformen „grundsätzlich zu einer Verbesserung der Gesamtsituation führten”, etwa was die Erreichbarkeit der Behörde betrifft. Für EU-Bürger und im Bereich Einwanderung sind die Verfahren kürzer geworden. Das bestätigt auch die Wiener Volksanwaltschaft. Oft sind es auch nicht unwillige Mitarbeiter, die Verfahren verzögern, sondern komplizierte Bundesgesetze. Aber das sind keine guten Schlagzeilen.

Die mediale Inszenierung gehört ohnehin nicht zu Wiederkehrs Stärken. Er formuliert Sätze so bedächtig, dass er wohl nie mit einem knackigen Zitat auf den Titelseiten landen wird.  Auch öffentliche Kritik am Koalitionspartner SPÖ kommt nur spärlich. Die bislang größte Unmutsäußerung war eine Aussendung, in der Wiederkehr die Kommunikation bei der Causa Wien Energie als „untragbar kritisierte. „Natürlich gibt es einige Konflikte in der Koalition, aber die tragen wir intern aus, sagt Wiederkehr. Sein Credo: Wer sich öffentlich streitet, bringt politisch nichts weiter. 

Nicht alle finden das gut: „Er ist der kleine stille Partner der großen SPÖ. Man gewinnt den Eindruck: Es ist eh alles Wurst, Hauptsache er ist in der Regierung. Das tut mir wirklich weh, sagt ein ehemaliger Neos-Politiker zum Falter. 

Morgen: Droht den Pinken in Wien ein Imageverlust?


Frage des Tages

Welches Nahrungsmittel heißt in Dänemark Wienerbrød?

1) Der Hotdog

2) Ein mit Pudding gefülltes Plundergebäck

3) Dunkles Vollkornbrot

Auslösung von gestern: Der Name Wurstelprater leitet sich von den Kasperltheatern ab, die auch Wursteltheater genannt wurden (von der Figur Hanswurst, die in Jahrmarktstheatern auftrat). Mit Würstelstandlern oder der Ernährung von Joseph II. hat der Wurstelprater nichts zu tun.

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Sattelfest in und um Wien

Das Buch Vienna Biking mit seinen fünf Touren verführt dazu, sich aufs Rad zu schwingen und nach dem Hop-on-Hop-off-Prinzip anzuhalten, um Sehenswertes zu betrachten, die Natur zu genießen oder sich zu stärken. Die Routen schlagen einen Bogen vom Herzen zur Außenhaut der Stadt. Es ist ein Crossover in jeder Hinsicht, ein Querschnitt durch das alte und das neue Wien.

Erhältlich auf faltershop.at


Geheimes Wien, Folge 15

Thomas Riegler

Die Hietzinger Spionagehochburg

Die DDR-Botschaft in der Frimbergergasse war im Kalten Krieg ein Hotspot für Geheimdienste.

Die Frimbergergasse in Hietzing ist heute eine ruhige, unscheinbare Wohngegend. Bis zur Wende 1989 lag hier jedoch einer jener Orte, an denen der Kalte Krieg in Österreich besonders spürbar war. Denn der Gebäudekomplex mit der Nummer 6-8 beherbergte die Botschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dort waren nicht nur Mitarbeiter der Staatssicherheit eingesetzt, sondern auch Spione eines kleineren, vergleichsweise unbekannten Geheimdiensts. Es handelte sich um die Militärische Aufklärung (MA) der Nationalen Volksarmee. Der DDR-Militärattaché, ein weiterer Offizier als Gehilfe und zwei diplomatisch abgedeckte „Legalisten“ bildeten zusammen die Residentur MA – Wien.

© Thomas Riegler

Deren Aufgabe war es, Informationen über die die Nato zu gewinnen, aber auch das neutrale Österreich auszuspionieren. Ende der 1980er Jahre konzentrierte man sich unter anderem auf die Entwicklung des Bundesheeres „bis 1994“, die Einbeziehung österreichischer Rüstungsfirmen in westliche Rüstungsvorhaben, die Neubildung der österreichischen Regierung sowie die „Aktivitäten des Gegners“, also der westlichen Konkurrenz.

Das geht aus Unterlagen der MA – Wien hervor, die heute im Stasiunterlagenarchiv aufbewahrt werden. Daraus wird deutlich, dass der Spionagealltag wenig mit Klischees zu tun hatte. Im Gegenteil, der Job war frustrierend und kaum ergiebig. Um irgendwie an Informationen zu kommen, dockte ein Mitarbeiter im Februar 1985 für zwei Jahre beim BSC-Arcus Wien, einem Bogenschießclub, an.

Der Gehilfe des Militärattachés, Oberstleutnant Dieter S., wiederum nutzte Funktionäre und Sympathisanten der KPÖ als Quellen. Bevorzugt traf man sich in Lokalen der „Wienerwald“-Kette. Es dauerte nicht lange und diese allzu auffälligen Kontakte führten zu einem Sicherheitsproblem. Ende Juni 1984 entging S. nur aufgrund eines Hinweises durch die Staatssicherheit der Festnahme. Hätte er einen geplanten Treff mit der KPÖ-Quelle „Altig“ am 28. Juni 1984 wahrgenommen, wäre er an Ort und Stelle verhaftet worden. Man hatte die österreichische Staatspolizei unterschätzt. 

Intern beschwerte sich die MA – Wien, dass die österreichischen Nachrichtendienste immer enger mit den westlichen Partnern kooperierten: „Nach unbestätigten Angaben sollen die österreichische Staatspolizei und das Heeresnachrichtenamt Vereinbarungen mit den Geheimdiensten und Abwehrorganen von 11 westlichen Staaten über Zusammenarbeit, gegenseitige Unterstützung und Informationsaustausch besitzen.“ Es sei vorgekommen, dass Mitarbeiter und Reisekader gezielten „Provokationen“ ausgesetzt wurden – etwa indem der Betreffende von einem Warenhaus-Detektiv angehalten wurde, nur um dann einer Person zugeführt zu werden, „die dialektfrei Deutsch sprach (offensichtlich BND [Bundesnachrichtendienst]-Mitarbeiter“ und „die vorgab, extra gekommen zu sein, um ihm zu helfen“. Gut möglich, dass Paranoia eine Rolle spielte, solche Situationen mitunter falsch einzuschätzen.

Das war aber nicht alles: Der „Gegner“ ließ nicht nur das Botschaftsgelände, sondern auch die Wohngebäude wichtiger Mitarbeiter ständig beobachten – etwa durch Informanten/Objektbeobachter vor Ort oder über die Anmietung von angrenzenden Wohnungen. Darüber hinaus wurden die Mitarbeiter der DDR-Vertretung „im Freizeitbereich und bei dienstlichen Maßnahmen außerhalb der Botschaft“ offen und verdeckt observiert. Das alles zeigt, dass Ostgeheimdienste wie die MA damals keine freie Bahn in Wien hatten, sondern kaum agieren konnten.

Thomas Rieglers Buch „Österreichs Geheime Dienste. Eine neue Geschichte“ kann man übrigens auch über faltershop.at beziehen. 


Event des Tages

Lisa Kiss

Kabarett

Die Tagespresse sorgt mit ihren humoristischen Online-Beiträgen jeden Tag aufs Neue für befreiende Lacher. Hinter dem Satireportal stehen Paul Kraker und Fritz Jergitsch. Das neue Kabarettprogramm „Tagespresse History“ unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte der Welt – aus österreichischer Sicht. In der Falter:Woche 6/23 finden Sie ein ausführliches Gespräch, das Lina Paulitsch mit Fritz Jergitsch über „Österreichheit“, Telefonstreiche und den Verkauf von Mondgrundstücken geführt hat.

Rabenhof, 20.00 (Termine bis Ende März)


Buch

Michael Sommer: Dark Rome

Viele der legendären Filme des italienischen Kinos sind innig mit Rom verbunden, handeln von Lust, Verbrechen, Politik und Kirche und erzählen von allerlei Delikatem, das sich hinter den Wänden von stilvollen Salons oder flauschigen Schlafzimmern dieser Stadt abspielt. Auch Michael Sommer, der an der Uni Oldenburg lehrt, beschäftigt das Geheime, das beim Blick in Räume gewisser Häuser zu entdecken ist. Allerdings schaut er in seinem neuesten Buch durch Gucklöcher in die Zeiten des antiken Rom, notabene, denn der 51-jährige Deutsche ist Althistoriker und gilt als einer der profundesten Kenner der Antike.

Was es über diese mehr als 1000-jährige Epoche um Christi Geburt im Mittelmeerraum zu erzählen gibt, legt Sommer nach Themen geordnet dar. Eines der Kapitel handelt von verbotenen Substanzen, die Giftmischerinnen herstellten und Drogendealer verteilten, eines von Mysterien und geheimen Riten. In einem dritten ist die Rede von Falschspielern und Meuchelmördern, in einem vierten von Spionen und Wunderwaffen. Insgesamt leuchtet Sommer zehn solcher Themen aus, und man staunt, was vor zwei Jahrtausenden alles schon vorhanden war, das man heute, je nach Gusto, feiert oder beklagen muss. (André Behr)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Kinotipps

Michael Omasta

Luanas Schwur

© Verleih

1958 in den albanischen Alpen: Luana, die Tochter eines angesehenen Mannes im Dorf, freundet sich mit Agim an, der nach der Verbannung seiner Familie aus der Stadt durch die Kommunisten hierher zog. Ihr Vater versprach sie als Kind einem anderen. Als er von Luanas gewachsener Liebe zu Agim erfährt, arrangiert er wütend, dass seine Tochter sofort mit dem Mann verheiratet wird, den er für sie gewählt und der sie vergewaltigt hat. Luana steht vor der Wahl mit ihrem Liebsten nach Deutschland zu fliehen, von den Kommunisten gefangen genommen und wahrscheinlich getötet zu werden, oder ihrer Familie treu zu bleiben. Eine archaische Geschichte um Liebe, Ehre, Blutrache.

Regie: Bujar Alimani, D/B/ALB/KOS 2021


Final Cut of the Dead

Remake der japanischen Horrorkomödie "One Cut of the Dead" (2017), die durch Mundpropaganda Kultstatus erlangt hat. Ein mittelloses Filmteam ist gerade dabei, einen Zombiefilm zu drehen, als plötzlich echte Zombies angreifen: gut für die Spezialeffekte, schlecht für jene, die am Leben hängen. Eine Ode an alle Do-it-Yourself-Amateure des Kinos, mit "The Artist"-Star Bérénice Bejo unter viel Kunstblut, eh ganz lustig.

Regie: Michel Hazanavicius, F 2022


Die Aussprache

Polleys Drama spielt mehrheitlich in einer Scheune, in der sich acht Frauen einer isolierten Mennonitengemeinde zur Beratung treffen. Sie haben wenig Zeit, denn bald sind die Männer zurück, über die sie hier entscheiden wollen. Jahrelang haben diese sie immer wieder betäubt und vergewaltigt, die Verbrechen als „wilde weibliche Fantasien“ denunziert. Ein grandioses Schauspielerinnenensemble trägt dieses Drama nach wahren Ereignissen, die sich um das Jahr 2010 in Bolivien zugetragen haben.

Regie: Sarah Polley, USA 2022


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