Fall Wien Energie: Das Immobiltelefon des Bürgermeisters - FALTER.morgen #521
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Für die politische Aufklärung des Falls Wien Energie könnte das Diensthandy des Bürgermeisters wertvolle Hinweise liefern – Michael Ludwig rückt es aber nicht heraus >> Das Ende der Öffi-Maskenpflicht und die neue Normalität >> Kino-Tipps von Michael Omasta
Wetterkritik: Der März beginnt, wie der Februar geendet hat: kalt in der Früh, kühl untertags und trocken (was eigentlich kein Grund zur Freude ist). Ein bisschen mehr Wolken als gestern und morgen, das wars dann aber auch schon – ruhiges Spätwinterwetter.
Guten Morgen!
Wenn Sie das lesen, bin ich vielleicht schon am Weg ins Rathaus. Dort findet heute nämlich die sechste Sitzung der Untersuchungskommission zur Causa Wien Energie statt. Sie erinnern sich: Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hatte im Sommer zwei Kreditlinien in Höhe von je 700 Millionen per Notkompetenz freigegeben, damit das Unternehmen Sicherheitsleistungen an der Börse hinterlegen konnte. Der Gemeinderat – also die gewählten Volksvertreter – wurde nicht über die Kreditvergabe informiert.
Die Aufarbeitung der Causa ist wichtig. Denn es geht schließlich um Steuergeld. Auch wenn das Geld mittlerweile zurückgeflossen ist, wie die SPÖ betont, gilt es, die Fragen zu klären, ob Ludwig die Milliardenkredite im Alleingang vergeben durfte. Die Regierungsparteien SPÖ und Neos haben auch Aufklärung und Transparenz versprochen.
Wie steht es damit? Und wann bekommt die Kommission eigentlich das Bürgermeister-Handy? Das erzähle ich Ihnen gleich.
Außerdem im heutigen FALTER.morgen: Martin Staudinger über das Ende der Maskenpflicht und eine neue Normalität namens Vernunft; und Michael Omasta wie jede Woche mit den besten Kintotipps für Sie.
Einen schönen Tag wünscht
Soraya Pechtl

Landwirtschaft, Umweltgerechtigkeit und Klimakrise
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„Priorität: Hoch"
Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wird seine Mails und Chatverläufe zur Causa Wien Energie nicht herausgeben. Warum nicht? Und warum ist das Handy überhaupt so wichtig für die Opposition?
Seit Monaten tobt im Rathaus ein Streit um Aktenlieferungen. Die Opposition beklagt, bisher kaum Dokumente bekommen zu haben. „Die fehlenden Dokumente sind das Hauptproblem", kritisierten die beiden Fraktionsführer Markus Wölbitsch (ÖVP) und David Ellensohn (Grüne) gestern unisono bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.
Von der SPÖ hatte es noch am Montagvormittag geheißen: Der Magistrat habe vergangene Woche ohnehin den elektronischen Akt zur Causa mit 65 Dokumenten geliefert. Jetzt könne die Opposition nicht mehr behaupten, keine Akten zu bekommen. Naja.
Nur wenige Stunden später langte ein Schreiben der Präsidialabteilung des Bürgermeisters in der Cloud der U-Kommission ein: Darin ist zu lesen, dass die Abteilung die elektronische Kommunikation – also Mails, Chatverläufe und Kalendereinträge auf dem Diensthandy und -laptop des Bürgermeisters nicht herausrücken wird. Begründung: „Der Leiter der Magistratsdirektion-Präsidialabteilung als auch die Stellvertretung" hätten keine Zugriffsberechtigung auf die Dateien. „Es besteht somit faktisch die Unmöglichkeit, dem Amtshilfeersuchen nachzukommen."
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Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Stadtwerke-Vizechef Peter Weinelt © APA/HANS KLAUS TECHT
Wenn Sie den FALTER.morgen regelmäßig lesen, wissen Sie: Die Sache mit Ludwigs Handy ist eine nicht enden wollende Geschichte. Die ÖVP hat den entsprechenden Antrag im November eingebracht, im Dezember hat ihn das zuständige Schiedsgericht für zulässig erklärt und stellte ein Amtshilfeersuchen an die MA 5 (Finanzwesen). Die stellte sich auf den Standpunkt, die Herausgabe würde Ludwigs Grundrechte verletzen und lehnte ab. Eine juristische Streitfrage – ein von der ÖVP beauftragtes Gutachten kommt nämlich zu einem anderen Schluss als die MA 5. Ludwigs Büro hätte die Kommunikation aber immer noch freiwillig liefern können. Das passiert nun aber ebensowenig (siehe oben).
Warum wurde ein Diensttelefon zu einem derartigen Politikum?
Beim Streit um Ludwigs Kommunikation geht es um eine Frage: Wann wusste der Bürgermeister vom Finanzbedarf der Wien Energie? Am 21. September antwortete er im Gemeinderat auf diese Frage so: „Die Höhe und die Notwendigkeit und die Dringlichkeit wurden mir am 15. Juli vermittelt.”
Die Opposition glaubte das schon damals nicht. Der Bürgermeister sei wahrscheinlich schon früher informiert worden, vermuteten die Abgeordneten. Dafür gibt es mittlerweile auch Indizien. Ich komme gleich dazu, welche das sind. Vorher stellt sich noch eine Frage: Warum ist dieses Datum so wichtig?
Wie erwähnt, hat Ludwig die Kreditlinien per Notkompetenz freigegeben. Das ist nur in Ausnahmefällen möglich. In der Wiener Stadtverfassung heißt es dazu: „Der Bürgermeister ist berechtigt, bei dringlichen Fällen (...) Verfügungen zu treffen, wenn die Entscheidung dieser Gemeindeorgane ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden kann.” Die Schlüsselworte sind „dringlich" und „nicht abgewartet werden kann".
Hätte Ludwig genügend Zeit gehabt, hätte er den Gemeinderat vorab informieren müssen. Wie viele Tage dafür nötig gewesen wären? Darüber gibt es ebenfalls mehrere juristische Gutachten mit ebensovielen Meinungen.
Um die 100 Mitglieder des Gemeinderates einzuberufen, braucht es natürlich eine gewisse Vorlaufzeit. In der Stadtverfassung gibt es dazu immerhin einen Anhaltspunkt: „Der Bürgermeister ist verpflichtet, eine Sitzung des Gemeinderates innerhalb von acht Tagen einzuberufen, wenn dieses Verlangen von wenigstens 25 Gemeinderatsmitgliedern oder einem Klub schriftlich gestellt wird.”
Ludwig hätte aber noch andere Möglichkeiten gehabt, meint die Opposition: Schneller geht es etwa, den zwölfköpfigen Stadtsenats einzuberufen – also die Landesregierung, in der alle Parteien vertreten sind. Oder die Genehmigung mittels Umlaufbeschluss einzuholen – das geht schriftlich, ohne dass die Abgeordneten zusammenkommen müssen. Das war etwa beim Kreditrahmen mit dem Bund der Fall.
Welche Hinweise gibt es, dass Ludwig bereits vor dem 15. Juli vom Finanzbedarf wusste?
Magistratsdirektor Dietmar Griebler sagte in der Untersuchungskommission aus, er haben bereits am 8. Juli mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) darüber gesprochen, dass die Wien Energie bald mit einem Finanzbedarf auf die Stadt zukommen könnte (also sieben Tage vor der Unterzeichnung).
Und im elektronischen Akt, in dem die Kommunikation zwischen den Magistratsabteilungen dokumentiert wird, findet sich eine Mail von den Wiener Stadtwerken an Gerhard Mörtl, Obersenatsrat und Dezernatsleiter der MA5. Betreff: „Antrag Schutzschirm". Priorität: Hoch. Gesendet am 12. Juli (drei Tage vor der Unterzeichnung). Darin steht: „Anbei der Entwurf des Antrags mit der Bitte um interne Abstimmung/Überarbeitung (…) Wie besprochen, wird ersucht die vom Bürgermeister gewünschte Ergänzung („Freistellung”) vorzubereiten."
Die SPÖ sieht dennoch keine Fehler bei der Ausübung der Notkompetenz. Der Abgeordnete Kurt Stürzenbecher betont: „Die Vorgänge waren korrekt und alternativlos."
Spannend wird, was Gerhard Mörtl und Finanzdirektor Christoph Maschek bei der heutigen Befragung dazu sagen. Michael Ludwig ist dann für Ende März geladen. Erklärungsbedarf gibt es jede Menge.
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Gewinnspiel
Sie erinnern sich vielleicht: Zur 500. Ausgabe des FALTER.morgen haben wir ein kleines Gewinnspiel veranstaltet und ein Falter-Goodiebag ausgelobt. Inzwischen steht die Gewinnerin fest – und hat uns gleich ein Foto von sich und den Kostbarkeiten geschickt. Herzlichen Glückwunsch, liebe Monika Hohenecker! Wir wünschen Ihnen viel Vergnügen und uns, dass Sie uns weiterhin als Leserin treu bleiben!

© privat
Meinung

Die neue Normalität heißt Vernunft
Heute endet auch in Wien die Maskenpflicht in den Öffis. Ich werde aber weiterhin FFP2 tragen – wenn auch nicht immer und überall.
Sieht man sich heute wieder in der U-Bahn? Mich eher nicht. Auch wenn die Maskenpflicht in den Öffis jetzt vorbei ist, werde ich wohl weiterhin FFP2 tragen. Um Helmut Qualtinger zu paraphrasieren: Ich lege gern die Maske an, wenn ich die Stadt durchfahre – bloß nicht immer, sondern situationsabhängig.

Man muss nicht mehr – aber man darf weiterhin © APA/Georg Hochmuth
Dass man es so oder so nicht allen recht machen kann, habe ich mittlerweile akzeptiert. Es gibt wenige Themen, die so sehr emotionalisieren wie die Maske; übrigens auch unsere Leserinnen und Leser (ausgenommen vielleicht die Wetterkritik, aber das ist eine andere Geschichte): Da führte die simple Frage, ob die Maßnahme angesichts eines Vergleichs der Infektionszahlen in Städten mit und ohne FFP2-Pflicht noch gerechtfertigt sei, schnell einmal zu wütenden Boykottaufrufen und persönlichen Unterstellungen auf Twitter.
Andererseits zog man in den vergangenen Wochen auch manchmal Ärger auf sich, wenn man die Maske (oder ähnliches) trug. „Wos tuast denn des, Depperter?“, zischte mir vor ein paar Tagen ein Typ in der U4 zu, der Anstoß daran nahm, dass ich mir als Provisorium für die im Büro vergessene FFP2 den Schal vor das Gesicht gebunden hatte.
Kein Zweifel: Mit Corona haben sich die Hygienestandards im öffentlichen Raum dauerhaft verschoben. Zuvor war Rotz’n’Roll in den Öffis etwas, das einfach irgendwie zum Winter gehörte; über die asiatischen Touristinnen, die Maske trugen, wunderte man sich höchstens ein bisschen; dass man aus der U-Bahn auch den einen oder anderen Virus mit nach Hause brachte, wurde als gegeben hingenommen.
Diese Wurstigkeit wird auf Sicht wohl kaum zurückkehren. Das gegenteilige Extrem – der Anspruch, Menschenansammlungen so keimfrei zu gestalten, dass es dort zu überhaupt keinen Ansteckungen kommt – wird sich nicht halten.
Wie die neue Normalität in den Öffis vernünftigerweise aussehen könnte, ist eigentlich leicht zu sagen. Volle Bim: Maske rauf; in der dreiviertel leeren Garnitur: nicht zwangsläufig; wenn man sich selbst auch nur ein bisschen angesandelt fühlt: auf jeden Fall.
Vernünftig also.
Geht doch ganz einfach.
Integration

Nicht förderlich
Die speziellen Deutschklassen für Zuwanderer, ein Prestigeprojekt der Regierung Sebastian Kurz, werden wissenschaftlich entzaubert.
Statt in Sprachstartgruppen oder -förderkurse mussten außerordentliche Schülerinnen und Schüler, deren Deutschkenntnisse dürftig waren, ab dem Schuljahr 2018/19 in eigene Deutschförderklassen ausgelagert.
Diese Maßnahme war von Anfang an umstritten, und sie war in Europa auch einzigartig. Expertinnen waren damals schon überzeugt: Sprache lernt man schneller im „Sprachbad“, also mit anderen, die sie schon gut sprechen. Kinder in eigene Klassen zu stecken, stigmatisiert sie. Außerdem sei das Niveau und Alter in den Deutschförderklassen oft so unterschiedlich, dass es mehr als eine Lehrkraft braucht, um sinnvoll zu fördern.

Kinder der Volksschule Deckergasse im 20. Bezirk wurden gebeten, zu zeichnen, wie sie sich im Regelunterricht und in der Deutschförderklasse fühlen
Gemeinsam statt in „Sonderklassen“, mit mehr Lehrerinnen und die besser ausgebildet, besser und am besten vor Ort organisiert: Das ist auch das Fazit jener Evaluierungsstudie, die das Wissenschaftsministerium bei der Bildungsforscherin Christiane Spiel in Auftrag gab und die letzten Herbst fertig wurde. Merkwürdigerweise verschwand die Studie zuerst in einer Schublade des Ministeriums und tauchte dann in der „Krone” auf - ohne Wissen der Studienautorinnen. Öffentlich präsentiert oder gar breit diskutiert wurde diese Studie – und viele andere, die es inzwischen gibt – nicht. Das wird heute ab 15 Uhr in der AK Wien in Kooperation mit dem Wissenschaftsministerium endlich nachgeholt (wer sich dafür interessiert, hier anmelden!).
Die „Deutschförderklassen“ reihen sich damit jedenfalls ein ins türkise Marketingpolitik-Mausoleum. Auf den Effekt hin gedacht (wir packen die, die nicht Deutsch können, in eine Sonderklasse), in der Sache ganz und gar nicht förderlich, wenn nicht sogar schädlich.
Wie geht es nun weiter? Hinter den Kulissen arbeiten die Grünen hart daran, das System der Deutschklassen aufzubrechen. Sie integrativer zu machen, mehr Personal reinzubekommen, den Schulen mehr Autonomie zu geben, wie sie sie genau ausgestalten. Die ÖVP bremst. Alles, was Kurz erfunden hat, ist ihr immer noch heilig.
Falter-Radio
Wie kaputt ist Österreichs Verwaltung?

Die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss und Ex-Justizminister Clemens Jabloner © Christopher Mavrič
Eine neue Initiative diagnostiziert grobe Mängel im heimischen Staatsapparat und macht Vorschläge, was geändert werden sollte. In der aktuellen Folge spricht FALTER-Politik-Chefin Eva Konzett mit Ex-Justizminister Clemens Jabloner und der ehemaligen Neos-Abgeordneten und Höchstrichterin Irmgard Griss.
Dafür setzen wir uns ein
„Dem Lächeln auf der Spur”
Der Wiener Filmemacher Tom Strobl und sein Freund Daniel Wanek starteten am 11. September in einem Campingbus ihre Reise von Wien nach Thailand. Im Gepäck: Eine riesige Carrera-Rennautobahn. Auf ihrem Weg besuchen sie SOS Kinderdörfer, um ihnen „mit einem Lächeln im Gesicht” Optimismus und Mut mitzugeben.

Unser Vereinszweck in einem Satz:
Lächeln zu verbreiten und hilfsbedürftigen Kindern eine Zukunft zu ermöglichen. Den Herausforderungen unserer Zeit die Zähne zeigen: Mit einem Lächeln im Gesicht.
Wer bei uns mitmachen kann/für wen unser Verein von Interesse ist:
Menschen die gerne lächeln und lächeln verbreiten wollen
Das haben wir bereits erreicht:
Auf “Track to Smile” haben wir es bereits bis nach Usbekistan geschafft, wir haben bereits einige SOS Kinderdörfer besucht und freuen uns auf Baku und Ganja.
Das war unsere größte Herausforderung/Schwierigkeit:
Die Einreise mit dem eigenen PKW nach Azerbaijan, das zur Kenntnis nehmen, dass es im Jahr 2022 aufgrund von Corona und der Situation im Iran unmöglich wurde, bis nach Thailand zu gelangen.
So finanzieren wir uns:
Über Unternehmerinnen und Unternehmer, die in unserer Mission eine besondere Charity-Aktivität erkennen, über private Spenden.
So kann man uns kontaktieren:
Alle Infos gibt´s auf www.tracktosmile.at und unter tom.strobl@me.com
Frage des Tages
Warum tragen/trugen im ersten Bezirk viele Straßen und Ortschaften den Namen Kärnten (Kärntner Ring, Kärntner Straße, Kärntnertor, Kärntnerviertel)?
1. Weil Kärnten das favorisierte Urlaubsziel von Kaiser Franz Joseph I. war
2. Weil der Architekt der Ringstraße aus Kärnten kam
3. Weil durch die Gegend die nach Kärnten führende Fernhandelsstraße verlief
Auflösung von gestern: Küssenpfennig war im Mittelalter ein gängiger Nachname und leitete sich wohl von geizigen Personen ab (kein Spiel, bei dem der Verlierer einen Pfennig küssen musste und auch keine abwertende Bezeichnung für Bettler).
Event des Tages

Musiktheater
Während im Thai-China-Vietnam-Restaurant „Der goldene Drache“ Thai-Suppe gelöffelt wird, spielen sich in der Küche und im restlichen Wohnhaus Dramen ab. Komponist Péter Eötvös malt mit schillernden Klängen, ironischen Einwürfen und klagenden Melodien ein 90-minütiges Panorama menschlicher Abgründe: Ein junges Paar trennt sich, weil die Frau schwanger und die Mansardenwohnung zu klein ist für drei, die Grille hungert, und die Ameise wittert ein Geschäft – die Zuhälterei. Dabei spielen fünf Personen alle 18 Figuren. Und zwar so großartig, dass einem der Atem stockt. (Miriam Damev)
Kammeroper, 19.00
Buch
Franzobel: Einsteins Hirn
Thomas Pynchon ließ in seinem Roman „Mason & Dixon" einen „Gelahrten Hund" auftreten, der sich als sprechender Vierbeiner entpuppte. Bei Franzobel verspürt ein Gehirn zeitweise Rededrang. Es spricht Schwyzerdütsch und hätte gerne einen Kaffee: „Isch da öpper? Isch scho nüni? Cha ni scho a Kafi bsteuwe?" Es handelt sich um das Hirn von Albert Einstein, das der amerikanische Pathologe Thomas Harvey entnahm, um dem Genie nahe zu kommen. Seine Faszination sollte schnell zu Besessenheit werden.
Franzobels Roman beruht auf einer wahren Geschichte, nimmt sich aber auch viele Freiheiten. Freunde wie Hasser dürfen beruhigt sein: Der Hang des Autors zum Absurden und zu überschießender Metaphorik ist auf dieser Amerika-Reise intakt. Und dass er sich als Erzähler gern ein wenig verplaudert, ist ja auch nichts Neues. (Sebastian Fasthuber)
Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at
Kinotipps

Wo ist Anne Frank

Broadwayshow, Film oder verpflichtende Schullektüre: Das Tagebuch der 13-jährigen Anne Frank, die sich 1942 mit ihrer Familie vor den Nazis in einer Geheimwohnung in Amsterdam versteckte, ist zum weltumspannenden Symbol geworden. Ari Folman, selbst Kind KZ-Überlebender, adaptiert das Tagebuch nun mit einem Kunstgriff: Sein Animationsfilm erweckt Annes imaginäre Freundin Kitty zum Leben, die Adressatin zahlreicher Einträge war. In einem grauen Amsterdam naher Zukunft macht sich Kitty mit dem Tagebuch auf Annes Spuren bis zu ihrem Tod im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Brücken, Schulen und Theater tragen Annes Namen, doch ist da mehr als gewerbsmäßige Erinnerungskultur? (Martin Nguyen)
Regie: Ari Folman, B/LUX/F/NL/ISR 2021
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Die Kindheit von Joachim, der mit seiner Familie in einer Villa auf dem Gelände einer Kinder- und Jugendpsychiatrie lebt, ist nicht alltäglich. Joachims Vater (Devid Striesow) ist der Direktor der Klinik. Unter den Patienten fühlen sich Joachim und sein Vater am wohlsten, sie sind ihre Freunde. Auf die Gesellschaft der „Anderen", der „Normalen", können sie verzichten. Joachims Mutter Iris (Laura Tonke) geht es aber anders. Sie sehnt sich in ein mondäneres Umfeld und trauert ihren Jugendabenteuern in Italien nach. Nach und nach erkennt Joachim, wir fragil das Familienidyll ist. Tragikomödie nach Joachim Meyerhoffs autobiografischem Roman.
Regie: Sonja Heiss, D 2022
Signs of War
Im Februar 2014 reist der Fotograf Pierre Crom mit einem One-Way-Flugticket auf die Krim in der Ukraine, einen Tag vor deren Annexion durch Russland. Von da an findet er sich inmitten eines schnell eskalierenden Konflikts wieder und beschließt zu bleiben: Kriegsbeginn in Slowjansk, Absturz des Flugzeugs MH17, Panzergefecht in Debalzewe. „‚Signs of War' ist nun sowohl eine Art Werkschau als auch Crash- bzw. Auffrischungskurs in Sachen Krim-Krieg (just als sich der neueste Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine jährt, der am Schluss kurz ins Bild kommt). Was der Film zeigt: Das Objektiv ist nie ‚objektiv' oder ‚neutral', stets gerichtet auf eine fragmentierte (mitunter zerbombte, zerschossene) Wirklichkeit. Das ganze Bild ist das unwahre." (David Auer)
Regie: Juri Rechinsky, Pierre Crom, Ö/NL/UA 2022

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