An der richtigen Adresse: Ein Lob auf die aktuellen Klimaproteste - FALTER.morgen #542

Versendet am 30.03.2023

Ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderung hätte längst eine politische Mehrheit – scheitert aber vorerst an der ÖVP (und ein bisschen an den Grünen) >> An der richtigen Adresse: Ein Lob auf die aktuellen Klimaproteste >> Expedition zum Brunnenmarkt und darüber hinaus, Teil 3 >> Lokaltipp: Biofisch Bistro >> Der Fassadenleser entdeckt ein zweckentfremdetes Armenhaus

Wetterkritik: Das Wetter fährt weiter Achterbahn mit uns – heute wird's mit bis zu 17 Grad ordentlich warm, morgen noch wärmer.


Guten Morgen!

Es war ein großer Koffer, den Karin Riebenbauer und Claudia Mühlbacher vor ziemlich genau vier Monaten ins Parlament schleppten: Er enthielt die Unterschriften von 35.426 Menschen unter die Petition der Initiative „Ich will Schule“. Riebenbauer und Mühlbacher sind Eltern von Kindern mit einer intellektuellen Beeinträchtigung und haben „Ich will Schule“ vorigen Herbst mit anderen betroffenen Eltern gegründet.

Sie fordern einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Derzeit müssen ihre Eltern für jedes weitere Schuljahr einen Antrag an die Bildungsdirektion stellen – und dieser wurde in den Vorjahren speziell in Wien oft nicht bewilligt. Vorige Woche hat ihre Petition im Parlament aber eine wichtige Hürde überwunden. Wie das gelungen ist – und woran die Umsetzung vorerst noch scheitert, erzählt Riebenbauer gleich unten.

Außerdem im heutigen FALTER.morgen: Ein Lob von Soraya Pechtl für die Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten, die ihren Protest jetzt zu den wirklich Verantwortlichen tragen. Der dritte Teil der Brunnenmarkt-Expedition von Florian Holzer. Und unser Fassadenleser Klaus-Jürgen Bauer über ein ehemaliges Armenhaus im Invalidenstraßen-Viertel, das vom gehobenen Mittelstand erobert wurde,

Einen schönen Tag wünscht

Nina Horaczek

PS: Im gestrigen Interview mit Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky war einmal von 337 PKW pro 1000 Einwohner in Berlin die Rede und ein anderes Mal von 289 Autos. Erstere Zahl schließt Firmenwägen mit ein, die letztere nicht. Entschuldigen Sie die Verwirrung.


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„Die ÖVP blockiert“

Karin Riebenbauer, Mitinitatorin der Initiative „Ich will Schule“, über Fortschritte und Hindernisse im Bemühen um ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderung.

Karin Riebenbauer (links) und Claudia Mühlbacher mit ihren Familien (© Falter/Heribert Corn)

FALTER.morgen: Frau Riebenbauer, was ist vorige Woche im Parlament genau passiert?

Riebenbauer: Unsere Bürgerinitiative für einen Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr wurde vom Petitionsausschuss an den Bildungsausschuss des Parlaments zugewiesen. Das ist ein Riesenschritt, weil das Parlament sich nun inhaltlich mit der von uns verlangten Gesetzesänderung beschäftigen muss. Noch dazu haben die Abgeordneten aller Parlamentsparteien einstimmig dafür gestimmt, unser Anliegen dem Bildungsausschuss zuzuweisen. Das ist schon ein toller Zwischenerfolg.

Wieso ist Ihnen dieser Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderung so wichtig?

Kinder, die eine intellektuelle Behinderung haben, brauchen oft länger als Kinder, die keine Behinderung haben, um ihre kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln, um Lesen, Schreiben und Rechnen lernen zu können. Dafür öffnet sich bei vielen während der Pubertät ein großes Lernfenster. Doch genau dann fliegen sie aus dem Schulsystem raus. Das wollen wir ändern.

Bedeutet die Einstimmigkeit im Petitionsausschuss, dass alle Parlamentsparteien für einen solchen Rechtsanspruch für Kinder mit Behinderung sind?

Leider nein. Bis jetzt haben SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos Zustimmung signalisiert. Die ÖVP blockiert einen solchen Rechtsanspruch – und das, obwohl wir in den vielen Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern, die wir seit vergangenem Herbst geführt haben, auch bei einigen Abgeordneten aus der ÖVP gemerkt haben, dass sie unser Anliegen unterstützen. Auch in der ÖVP gibt es Leute, die die Probleme von uns Eltern mit Kindern mit Behinderung gut verstehen und uns helfen wollen. Gleichzeitig hat uns aber der Generalsekretär von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) klar gesagt, es wird in dieser Legislaturperiode keine Gesetzesänderung geben. Wir haben also theoretisch eine Mehrheit für eine Änderung im Parlament, aber weil die Grünen nicht gegen ihren Koalitionspartner ÖVP stimmen werden, ist ein Rechtsanspruch auf längere Schulbildung für Kinder mit Behinderung nur möglich, wenn sich auch die ÖVP bewegt.

Wie wollen Sie das erreichen?

Indem wir weiterhin den zuständigen Politikerinnen und Politikern die Türen einrennen. Einiges haben wir auch schon erreicht: Das Bildungsministerium hat vor Kurzem einen Erlass an alle Bildungsdirektionen geschickt, dass Anträge auf das 11. und 12. Schuljahr nicht mehr aus sonderpädagogischen Gründen abgelehnt werden dürfen. Unsere Sorge ist jetzt, dass es dann aber trotzdem Ablehnungen gibt, weil das Personal in den Schulen fehlt. Wirklich helfen würde uns, wenn auch Eltern, deren Kinder keine Behinderung haben, unser Anliegen unterstützen würden. Denn Eltern, die ein behindertes Kind haben, gehen ohnehin schon so oft am Zahnfleisch, müssen ihre Kinder häufig pflegen, sind einfach im Dauereinsatz. Und es sollten doch alle Kinder das Recht auf Bildung haben.

Vergangenes Schuljahr erfuhren Eltern von Teenagern mit Behinderung in Wien erst kurz vor Schulschluss, dass ihre Kinder im Herbst keinen Schulplatz mehr haben. Ist das heuer anders?

Derzeit warten und zittern die Eltern, die für ihre Kinder einen Antrag auf ein 11. oder 12. Schuljahr gestellt haben, noch. Uns wurde zwar von der Bildungsdirektion Wien versprochen, dass alle Eltern vor Ostern informiert werden. Aber Ostern ist schon nächste Woche. Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) hat zugesagt, sich dafür einzusetzen, dass es für alle betroffenen Jugendlichen in Wien heuer eine positive Lösung gibt.

Hinweis: Wenn Sie mehr über das Leben junger Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung und ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung erfahren wollen, empfehlen wir den Dokumentarfilm „Lass mich fliegen“ von Regisseurin Evelyne Faye, der derzeit in den Kinos läuft.

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Ostern steht vor der Tür!

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Die passenden Olivenprodukte finden sich im MANI Onlineshop oder im MANI Laden in der Seidengasse 32, 1070 Wien.


Meinung

Soraya Pechtl

Weiter so!

Grüne Flüsse, Straßenblockaden und Störaktionen: Eine Woche lang haben Klimaaktivisten mit kreativen Aktionen gegen die Gaskonferenz in der Stadt für Wirbel gesorgt. Der Protest trifft genau die Richtigen.

Die Irritation war einigen Anzugträgern deutlich anzusehen: Während des Galadinners der Europäischen Gaskonferenz stand plötzlich eine Aktivistin auf, hielt ein Transparent in die Höhe und brüllte: „Ihr füllt eure Taschen aber zu welchem Preis?” Als sie nach 20 Sekunden von zwei Sicherheitsleuten aus dem Saal bugsiert wurde, stand eine weitere Aktivistin auf – sie war zuvor bei einer Herrenrunde an einem elegant gedeckten Tisch gesessen – und wiederholte das Spiel. Auch sie wurde binnen Sekunden aus dem Saal gebracht. Die Störung war zwar nur kurz, aber sie erreichte ihr Ziel. Das Video ging am nächsten Tag viral

Eine Aktivistin beim Galadinner der Gaskonferenz am Dienstag (© Screenshot BlockGas)

In den vergangenen Monaten haben Kommentatoren (auch ich) immer wieder geschrieben, dass die Proteste der Klimaschützerinnen die Falschen treffen. Denn Klebeaktionen auf Straßen verärgern viele Bürgerinnen. Und die Politiker kümmern sich bislang entweder eher wenig darum – oder sie nutzen die „Klimakleber”, um Stimmung zu machen. Wobei: Das Gegenargument hat auch etwas für sich – die Aktivisten der Letzten Generation landen damit immerhin auf Titelseiten und werden zu Talkshows eingeladen. So werde wenigstens über die Klimakrise gesprochen. 

Das Bündnis BlockGas hat diese Woche bewiesen, dass beides geht: Die wirklich Verantwortlichen treffen und medial präsent sein. 

In den vergangenen Tagen konferierten in Wien die Chefs der größten Energie- und Finanzkonzerne mit Politikern über die Zukunft der Gasversorgung Europas. Und die Aktivisten haben keine Gelegenheit ausgelassen, sie dabei zu stören.

Am Wochenende haben sie den Donaukanal grün gefärbt und die Zufahrt zum Privatjet-Terminal am Flughafen blockiert – damit landeten sie auf der Titelseite der Kronen Zeitung.

Am Montag haben sie vor dem Tagungshotel am Ring demonstriert, obwohl dort Platzverbot herrschte. Die Polizei kesselte und pfefferte sie ein. So gut wie alle Medien berichteten.

Am Dienstag störten sie das Galadinner der Konferenz, zeitgleich zogen Tausende Demonstranten durch die Innenstadt.

Am Mittwoch färbten sie Brunnen grün und enthüllten ein Transparent mit der Aufschrift „Stop Gas, Stop Colonialism” vor dem Wiener Rathaus (zur Erklärung: vor allem Industrieländer würden vom Geschäft mit dem Gas profitieren und Menschen im globalen Süden besonders stark unter der Umweltzerstörungen und der Erderhitzung leiden).

Die Aktivisten sorgten nicht nur für Aufmerksamkeit, sie waren dort, wo die Verantwortlichen sitzen. Weiter so!


Stadtnachrichten

„Ni-Una-Menos!”, auf Deutsch „Nicht eine weniger!”, lautet der Schlachtruf einer internationalen Frauenrechtsbewegung – und seit gestern auch der Name eines Platzes in der Nussdorfer Straße am Alsergrund. 

Der Ni-Una-Menos-Platz soll sowohl Gedenkort sein – 2021 hatte auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mann seine Ex-Freundin mit Benzin übergossen und angezündet – als auch ein „Aufruf zum gemeinsamen Kampf gegen Femizide und Gewalt gegen Frauen“, sagt Josefa Molitor-Ruckenbauer, stellvertretende Bezirksvorsteherin Alsergrund (Grüne)

Der Kulturausschuss des Wiener Gemeinderats hat gestern die Errichtung des Platzes auf Antrag der Grünen und Ni-Una-Menos Austria beschlossen.


Rund um den Brunnenmarkt (3)

Florian Holzer

Osterjause in der No-Go-Zone

Gleich neben dem Brunnen- liegt der Yppenmarkt – und der entlarvt die Schreckensvisionen von ÖVP-Chef Karl Mahrer endgültig als Unsinn.

In der Nordzeile vom Yppenmarkt gibt's zwei Läden, die auch über den Bauernmarkt hinaus geöffnet sind: die Arge Rosenauerwald, eine 1979 von Boku-Studenten gegründete Kooperative mit sozioökonomischer Zielsetzung, die sich zu einem verlässlichen Versorger von Bio-Lebensmitteln kleiner, eigenständiger Produzenten entwickelte.

Vom Apfel bis zum Zuchtpilz: Am Yppenmarkt gibt's fast alles (© Wikipedia/Peter Gugerell)

Zweitens, die Kärntnerei, ein Laden, dessen Name nur schwer auszuhalten ist, der aber hausgemachte Kasnudeln sowie Schinken, Speck, Wurst und Käse aus Kärnten anbietet. Kärntner Osterjause kann bereits vorbestellt werden.

Und jetzt zu denen, die nur am Samstagvormittag da sind: Unmittelbar vor dem ehemaligen Marktamtsgebäude, in dem seit dem Umbau zum Gastronomiebetrieb 2015 schon zahllose Lokale gescheitert sind, betreibt die jungdynamische Bio-Bäckerei Öfferl einen Stand.

Neben Öfferl verkauft hier auch Joseph Brot, die burgenländische Fleischhauerei Christian Moritz hat im ersten Stand der Nordzeile jede Menge geräuchertes Fleisch (und faschierten Braten) zum Drauflegen. Beim Winzerhof Rögner aus Großengersdorf kann man zwölf verschiedene Apfelsorten bekommen, bald sogar noch mehr.

Vor dem Haus Yppenplatz 5 wird man von der grünen Welle in Form von Kräutern und Gemüse überwältigt, die Zekeriya Türkyilmaz' Stand namens Zeki Frucht hier seit 15 Jahren feilbietet. Gegenüber gibt's Freiluft-Espresso von der Kaffeefabrik, daneben schmelzen die Leute der hippen Käsehandlung Jumi diverse Käse für Raclette-Semmerln. Was geruchlich nicht ohne Folgen bleibt.

Früchte des Zitronenparadieses Dem Zitrus-Pop-up von La Salvia gleich daneben ist das wurscht, weil sie ebenfalls gut riechen: Navel-, Tarocco-und die säurearmen Vaniglia-Orangen, Bergamotten, Meyer-Zitronen und vor allem die Zigara bianca: ein duftender Gruß aus dem Land, wo die Zitronen blühen und man Limoncello daraus macht.

Die steirische Craft-Bier-Brauerei Erzbräu ist auf Wiens Wochenmärkten allgegenwärtig, so auch hier. Der Vorarlberger Käsehändler Simon Wohlgenannt hat ein „Best of Bregenzerwald“ in seiner Vitrine liegen.

Dann ist da noch der ungarische Zuchtpilzanbieter, der sogar den seltenen Igelstachelbart hat. Und unmittelbar vorm Staud verkauft der Waldviertler „Slow Baker“ Erich Kasses aus Thaya an der Thaya (quasi der Pionier der zeitgenössischen Brotkultur in Österreich) seine Waldstauden-Brote.

Mit Stephan Grubers kaes.at-Stand ist erstens die Runde beendet und zweitens der Beweis erbracht, dass es am Yppen-Bauernmarkt ganz schön viel guten Käse gibt. Gut so!


Falter-Radio

Weltpolitik neu sortiert

Stefan Lehne, Tessa Szyszkowitz, Raimund Löw, Shalini Randeria und Alfred Gusenbauer

Wie sich die internationalen Machtverhältnisse verschieben und warum die UNO trotz Schwächung noch immer wichtig ist, untersuchen in der aktuellen Podcast-Folge Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ), Buchautor und der Moskau-Korrespondent Michael Thumann (Die Zeit), die Rektorin der Central European University Shalini Randeria, der EU-Experte Stefan Lehne und Falter-Korrespondentin Tessa Szyszkowitz.


Lokaltipp

Biofisch Bistro (1120 Wien)

Marc Mößmer, Europas Pionier der Biofischzüchter, verkauft seine Bio-Fische hauptsächlich auf Märkten, aber auch direkt ab Produktionsstätte, die sich seit zwei Jahren in der Hetzendorfer Straße 59 befindet. Hier gibt’s Frischware und Tiefgefrorenes, Bio-Lebensmittel ohne Ende, großartige Weine von Neumeister und Hirsch und eben auch ein Bistro.

Es wirkt etwas spartanisch, aber dafür ist man nach einer Fischsuppe mit etwa 300 Gramm Fisch-Inlay nicht nur satt, sondern satt für zwei (€ 4,90). Die Fischfalafel könnten ein bisschen saftiger sein, aber karibische Stockfischbällchen waren wahrscheinlich auch nicht gleich von Anfang an super (€ 1,–/Stk.). Die geräucherte Karpfenroulade zergeht auf der Zunge, Karpfen in Bestform, herrlich (€ 2,20).

Man lernt viel hier: Etwa dass Karpfen super schmecken kann, dass heimischer Bio-Zuchtfisch nicht teuer sein muss. Oder dass Massentierhaltung und Überfischung der Meere jetzt echt einmal aufhören könnten.

Die gesamte Lokalkritik von Florian Holzer lesen Sie hier.


Frage des Tages

Was sind Pawlatschen?

1. Knödel mit Powidelfüllung

2. Ein Wiener Wort für Trottel

3. Offene Holzgänge

Auflösung von gestern: 1.550 Läuferinnen und Läufer gingen beim ersten Wien-Marathon Ende März 1984 an den Start (nicht 980 oder 17.870), 794 kamen ins Ziel. Heuer werden rund 36.000 Teilnehmer erwartet.


Event des Tages

Lisa Kiss

Theater

Der Meister des gewaltvollen Kammerspiels, Markus Öhrn, macht aus Ingmar Bergmans sechsstündigem Konversationsdrama „Szenen einer Ehe“ ein Theaterstück in vier Szenen. Johan und Marianne lieben einander erst, verlieren dann die Leidenschaft, lassen sich nach zehn Jahren scheiden, gehen wieder miteinander ins Bett und  werden gewalttätig. Mehr über das Stück und den Regisseur können Sie im Artikel in der Falter:Woche 12/23 nachlesen. (Sara Schausberger)

Volx, 20.00


Buchtipp

Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister

Wenn anlässlich von Namenstagen, die im katholischen Münsterland wichtiger waren als Geburtstage, die Geschwister von Ewald Fries Eltern auf Besuch kamen, gingen die Männer nach dem Kaffee in den für diese Anlässe blitzblank hergerichteten Stall oder auf die Wiese, um dort aus Züchtersicht über Rinder und Kälber zu fachsimpeln. Die Frauen gingen derweil in den Garten, der die Familie zu einem Gutteil ernährte, und in den Keller, wo sie Apfel- und Kartoffelvorräte sowie alles in Gläsern Eingekochte in Augenschein nahmen. Sie tranken Wein und Likör nach dem Essen, das über Tage von vielen Händen vorbereitet worden war. Die Männer spielten bei Bier und Schnaps das Kartenspiel Doppelkopf, und zwar stets um Geld. Denn ohne Geld, so Ewald Fries Vater, fehle dem Spiel die „Andacht“.

In seinem neuen Buch nach dem Bestseller „Die Geschichte der Welt“ erzählt der Historiker und Professor in Tübingen die Geschichte seiner Herkunftsfamilie als „Tor zu einer Geschichte der Bundesrepublik“. „Ein Hof und elf Geschwister“ heißt der schmale Band, in dem Frie aus vielen Szenen nicht nur bäuerlichen Alltag mit Hofarbeit, Großfamilie und Alltagsreligiosität modelliert, sondern entlang der unterschiedlichen Erfahrungsräume von Eltern und Kindern auch im Kleinen den großen gesellschaftlichen Wandel sichtbar macht. (Julia Kospach)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Fassadenleser #107

Der Block als Haus

Früher stand hier ein Armenhaus, das Kardinal Graf Kollonitsch 1727 auf den bei der Türkenbelagerung zerstörten Kielmannseggschen Garten errichtete. Joseph II. funktionierte das Anwesen später zum Invalidenhaus um. 1909 wurde diese Anstalt abgerissen. Stattdessen entstand dort das schicke Invalidenstraßen-Viertel im 3. Bezirk. Sein Auftakt-Bau umfasst streng genommen drei verschiedene Gassen – Untere Viaduktgasse, Marxergasse und die namengebende Invalidenstraße. Es war eben immer schon rationell, statt einer kleinen Parzelle einen halben Häuserblock zu bebauen. Nur ein Jahr später zog dort statt Armen und Invaliden der gehobene Mittelstand ein.

Auftakt im Invalidenstraßen-Viertel (© Klaus-Jürgen Bauer)

Der jüdische Baumeister des riesigen Hauses, der aus Laa an der Thaya stammende Adolf Oberländer, arbeitete sich aus kleinsten Verhältnissen bis zum Architekt und Maurermeister für die Vorstädte Wiens – so seine Selbstbezeichnung – hoch. Stilistisch war er nicht zimperlich. Wie man sieht, war er aber in der Lage, große Baumassen anständig zu gliedern. Ob dies nun neoklassizistisch oder sezessionistisch oder in den vom ihm eher bevorzugten Stilen Altdeutsch oder Heimatschutz geschah, war ihm vermutlich einerlei. Die Aufgabe und der Standort bestimmten Oberländers gestalterische Sprache. Jedenfalls schaffte er es mühelos, den Maßstab seines riesigen Neubaus – immerhin ein halber Block – zu verschleiern. 


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