Gute Nachricht für Teens mit Behinderung: Nie mehr Schulschluss! - FALTER.morgen #551

Versendet am 13.04.2023

Endlich einmal gute Nachrichten für Jugendliche mit Behinderung – sie fliegen nicht mehr mit 16 aus dem Bildungssystem >> Der Fassadenleser über ein Eckhaus mit drei Beletages

Wetterkritik: Regnerisch, grau und kühl bei maximal zehn Grad. Bei diesem tristen Wetter fällt uns auch nichts mehr ein.


Guten Morgen!

Vielleicht erinnern Sie sich noch an Mario: Wir haben voriges Jahr über ihn geschrieben, und zwar aufgrund schlechter Nachrichten. Mario ist Autist, braucht viel Förderung und liebte es, zur Schule zu gehen – stand im vergangenen Sommer aber plötzlich vor dem Nichts. Die Bildungsdirektion gab zu Schulschluss nämlich überraschend bekannt, dass sämtliche Anträge von Schülerinnen und Schülern mit intellektueller Behinderung auf ein 11. Schuljahr kurzfristig abgelehnt werden.

Das traf nicht nur Mario. Mehr als hundert Teenager mit Beeinträchtigung saßen von einem Tag auf den anderen zu Hause, hatten weder Schul- noch Betreuungsplatz. Heuer soll sich das auf keinen Fall wiederholen, versprechen nun Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ). Das ist für die Jugendlichen und ihre Eltern eine große Erleichterung, über die ich Ihnen gleich mehr erzähle.

Anschließend folgen noch zwei Architekturthemen – der Historiker Peter Autengruber beschreibt einen weiteren interessanten Gemeindebau, und unser Fassadenleser Klaus-Jürgen Bauer entdeckt ein Eckhaus mit gleich drei Beletages.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen

Nina Horaczek


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Sehr gut!

Vergangenes Jahr wurden intellektuell beeinträchtigte Teenager nach der 10. Klasse aus der Schule geworfen – und damit um wertvolle Bildungschancen gebracht. Diesen Fehler will die Stadt heuer nicht mehr machen.

Es sind genau 313 Briefe, die dieser Tage bei Wiener Familien eintrudeln. Die Bildungsdirektion teilt Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf mit, ob ihr Sprössling noch ein weiteres Jahr die Schule besuchen darf – der Antrag auf ein 11. oder 12. Schuljahr also genehmigt wurde.

Der Slogan, den der Verein Down Syndrom Wien seiner diesjährigen Kampagne für gelebte Inklusion gegeben hat, gilt auch für den Erfolg der Initiative „Ich will Schule“ (© Philipp Horak)

Es ist Post, vor der sich viele Eltern von Kindern mit Behinderung heuer nicht mehr fürchten müssen. Im Vorjahr hatte die Bildungsdirektion Wien keinen einzigen Antrag auf ein zusätzliches Schuljahr für Kinder mit intellektueller Beeinträchtigung bewilligt. Zahlreiche Eltern wurden erst in den letzten Tagen vor Schulschluss schriftlich informiert, dass ihr Teenager ab September kein Schulkind mehr sein darf. Denn im Gegensatz zu Schülerinnen und Schülern ohne Behinderung muss für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf für jedes Schuljahr, das über die neun Pflichtschuljahre hinaus geht, ein Antrag um Bewilligung bei der Bildungsdirektion gestellt werden. Einen Rechtsanspruch auf Schule über die Pflichtschulzeit hinaus gibt es für Kinder mit Behinderung keinen – obwohl speziell Jugendliche mit intellektueller Beeinträchtigung für ihren Lernerfolg oftmals mehr Zeit benötigen.

Doch für etwas mehr als hundert Jugendliche hieß es vergangenes Jahr: Nie mehr Schule, und das, obwohl sie erst 15 oder 16 Jahre alt waren. Manche, wie etwa Mario, sitzen seitdem beschäftigungslos zu Hause, weil es für sie auch keinen passenden Platz in einer Tagesstruktur gibt.

Für heuer versprechen Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) und Bildungsdirektor Heinrich Himmer (SPÖ) hingegen einen Paradigmenwechsel. „Wir kommunizieren ab heute aktiv mit den betroffenen Eltern“, so Himmer, „und künftig erhalten die Eltern auch eine Bestätigung der Bildungsdirektion, dass der Antrag eingelangt ist plus eine Kontaktmöglichkeit“.

Mario bringt das leider nichts mehr – den heuer betroffenen Schülerinnen und Schülern aber sehr wohl. Die meisten von ihnen dürfen das zusätzliche Schuljahr in ihrer derzeitigen Schule verbringen. Bei 30 Teenagern mit Behinderung, die einen extrem hohen Pflegebedarf haben, gibt es eine Schulmöglichkeit an einem anderen Standort. „Da werden aber alle Eltern von der Bildungsdirektion kontaktiert und zu einem Gespräch eingeladen“, sagt Himmer. Insgesamt investiert die Stadt im kommenden Schuljahr 3,6 Millionen Euro zusätzlich, um hundert weitere Schulplätze für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung zu schaffen.

Außerdem soll der Inklusionsgedanke auf zusätzliche Schulstandorte ausgeweitet werden. Dafür braucht es aber den Bund. Denn derzeit besuchen von hundert Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf 99 eine städtische Pflichtschule und nur eines ein Gymnasium, für das der Bund zuständig ist.

Diesen Paradigmenwechsel hat nicht zuletzt die Initiative „Ich will Schule“ angestoßen, die für ein Recht auf ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit Behinderung kämpft. Nachdem Eltern von Kindern mit Behinderung im vergangenen Frühjahr miterleben mussten, wie Schulkollegen ihrer Kinder quasi über Nacht ohne Schulplatz oder Betreuung dastanden, beschlossen sie, sich zusammenzutun, um hier eine Verbesserung zu erreichen. Mittlerweile sprechen sich SPÖ, FPÖ, Neos und Grüne für eine Gesetzesänderung aus, nur die ÖVP ist dagegen.

„Damit Eltern auch langfristig nicht in die Rolle von Bittstellern gedrängt werden, braucht es aber eine bundesweite Veränderung“, sagt Bildungsstadtrat Wiederkehr. Er fordert die Abschaffung des sogenannten SPF-Deckels: Derzeit geht der Bund davon aus, dass der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei 2,7 Prozent aller Schulpflichtigen liege. In Wien sind es aber 5,6 Prozent, Tendenz steigend. Diese Mehrkosten müsse die Stadt derzeit ganz alleine stemmen.  

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Gibt es in der Kunstwelt noch Solidarität?

Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Gruppenausstellung „No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection“, die in der Kunsthalle Wien Museumsquartier am 20. April um 19 Uhr eröffnet.

Zu sehen sind Werke von zeitgenössischen Künstler*innen wie Elfie Semotan, Brook Andrew oder Iman Issa in Dialog mit Werken von Picasso, Alex Katz, Sol LeWitt, Meret Oppenheim uvm. aus der einzigartigen Sammlung des MoCA Skopje.


Falter-Radio

Was hinter der Inflation steckt

Welche Banken müssen zittern? Der Kollaps der kalifornischen Silicon Valley Bank und der Skandal um die Credit Suisse offenbaren die Schwächen des Finanzsystems. Was nach der Krise von 2008 verpasst wurde, diskutieren in der aktuellen Folge (v.l.n.r.) Falter-Kolumnist Peter Michael Lingens, die Globalisierungskritikerin Lisa Mittendrein, der Ökonom Stefan Schulmeister und die Ökonomin Heike Lehner von der Wirtschaftsuni Wien. Moderation: Raimund Löw.


Zum Nachhören:

Anton Pelinka zur Krise der Parteien

Dem Politikwissenschaftler und langjährigen Beobachter der Innenpolitik glaubt an eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen Kickls FPÖ, deren Rechtsnationalismus und Ausländerfeindlichkeit. Das Gespräch mit Barbara Tóth können Sie hier nachhören.


Stadtnachrichten

Wird in Wien bald gewählt? Bei den ganzen Rabatten und Gutscheinen, die Wien gerade verteilt, könnte man zumindest den Eindruck gewinnen. Nach Energie- und Wohnbonus bekommen Fernwärmekunden nun auch noch 20 Prozent Rabatt auf ihren Grundpreis – das entspricht ungefähr 80 Euro bei einem durchschnittlichen Haushalt. Strom- und Gas-Kundinnen sollen demnächst ähnliche Nachlässe bekommen. 

Das mit der Wahl war natürlich ein Scherz. Regulär werden wir in Wien erst 2025 wieder zur Urne gehen. Der Grund für die Goodies sind die hohen Gewinne, die Wien Energie im Vorjahr geschrieben hat (ein dreistelliger Millionenbetrag dürfte es laut SPÖ-Finanzstadtrat Peter Hanke sein). Die Preise für die Verbraucher sind währenddessen aber enorm angestiegen. Deshalb sollen die Gewinne nun zum Teil an die Kunden zurückfließen. 

Mehr Details zum Fernwärme-, Gas- und Stromrabatt gibt’s bis zum Sommer.


Gemeindebau-Serie, Teil III

Der Klassische

Der Maria-Franc-Hof ist ein in die Jahre gekommener Gemeindebau aus der Nachkriegszeit. Aber an seiner Fassade gibt es ein interessantes Kunstwerk zu entdecken.

Von Peter Autengruber

Der Maria-Franc-Hof in der Josefstadt, Lange Gasse 21-23, ist ein typischer Gemeindebau aus der Nachkriegszeit. Geplant wurde er von Johann (Hans) Stöhr, zuletzt Leiter des Wiener Stadtbauamtes. Er war maßgeblich an der Errichtung kommunaler Wohnbauten in der Ära des Wiederaufbaus beteiligt.

Schöpfer des schönen Wandmosaiks war der Grafiker Josef Seger (1908-1998). (© Peter Autengruber)

Der Gemeindebau umfasst 77 Wohnungen. Benannt wurde er 1987 nach der ersten weiblichen Bezirksvorsteherin in Wien, Maria (Marie) Franc (1906-1971). Franc war 1922 in die Schuhfirma Delka als Angestellte eingetreten. Politisch engagierte sie sich in der christlich-sozialen Partei.  1934-1938 war sie Buchhalterin und Kassier in der Einheitsgewerkschaft. Ab 1938 arbeitete sie wieder für Delka. Nach dem Krieg war sie eine Zeit lang zu Hause, ehe sie 1950 für die ÖVP wieder in die Politik eintrat, vorerst als Bezirksrätin und Vorständin des Fürsorgeamts Josefstadt. Von 1959 bis 1964 war sie Bezirksvorsteherin der Josefstadt. Infolge einer Erkrankung zog sie sich ins Privatleben zurück. 

Interessant an dem eher in die Jahre gekommenen Gemeindebau ist das Wandmosaik mit den drei Eulen (1957) im östlichen Hofteil. Schöpfer des schönen Kunstwerks war der Grafiker Josef Seger (1908-1998).

Buchtipp: Peter Autengruber/Ursula Schwarz, Lexikon der Wiener Gemeindebauten. Namen. Denkmäler. Sehenswürdigkeiten, Verlag Wundergarten, ISBN 978-3-903070-20-2, Euro 24,90 (eben erschienen, im faltershop.at erhältlich)


Lokaltipp

Depot Café (1070)

20 Jahre nachdem das Depot vom Museumsquartier in die Breite Gasse übersiedelt ist, gibt es endlich wieder ein Café!

Die Location hat nach wie vor eine unglaublich gute Atmosphäre. Der alte Parkettboden, die Holzfurniere, die Stuckdecke mit dem 100-jährigen Ventilator, ergänzt mit den selbstgebastelten Sitzbänken und den millenniumstypischen MDF-Tischen. Die neue Betreiberin Nicoll Ullrich-Stockert schloss Fässer der sagenhaft guten südmährschen Brauerei Černá Hora an die Zapfanlage, besorgte italienischen Bio-Kaffee und setzte Weine auf die Karte, die zum Teil von der großartigen Vinothek Vinonudo stammen. Und sie macht einen der besten Schinken-Käse-Toasts.

Und auch kein Nachteil: Das Depot Café versucht, trotz besserer Ware preislich doch unter dem MQ-Level zu bleiben. Klingt nach einem Platz, wo man gerne sein will.

Die gesamte Lokalkritik von Florian Holzer lesen Sie hier.


Frage des Tages

Was zeigt unser Sattelitenbild?

© Geoland

Auflösung von gestern: Um 1900 wurden in Wien 163 Liter Bier pro Kopf getrunken (nicht 198 oder 232 Liter). Zu dieser Zeit stieg der Bierkonsum auch aus sozialen Gründen an, weil Wein immer teurer wurde. Quelle: Wien Geschichte Wiki


Event des Tages

Lisa Kiss

Viel Musik

Schwere Entscheidung: Im Rathaus steigt heute das üppig besetzte Eröffnungskonzert des Wienerlied-Festivals „wean hean”; der Singer/Songwriter Bananz kommt mit interessanten Liedtexten voller Hacklerpoesie und bluesig-rauer Musik in die Sargfabrik (19.30), und im Chelsea (20.30) schließlich teilen sich zwei im weitesten Sinne unter Punk einzuordnende, aber gänzlich unterschiedlich tönende Bands einen Abend: Die brachialen Franz Fuexe und das „poetische Post-Punk-Duo“ Das Gespenst mit Autor Elias Hirschl als Sänger.

Rathaus, 18.00; Sargfabrik, 19.30; Chelsea 20.30


Buchtipp

Hertha Pauli: Der Riss der Zeit geht durch mein Herz

Durch das Herz auf den Wegen der Emigration geht ein „Riss", so titelt das Erinnerungsbuch der Autorin und Schauspielerin Hertha Pauli (1906-1973) mit einem Heine-Zitat. Ihr Fluchtweg führt die gebürtige Wienerin an Zürich vorbei, wo sich Bruder Wolfgang, der spätere Physik-Nobelpreisträger, bereits etabliert hat, in den Pariser Kreis um Joseph Roth. Dort erlebt sie aus unmittelbarer Nähe den dramatisch-skurrilen Tod ihres ehemaligen Partners Ödön von Horváth.

Die Besetzung von Paris zwingt sie in den vom Vichy-Regime beherrschten Süden. „Feindlichen Ausländern" droht die Einweisung in die berüchtigten Lager, Juden gar die Auslieferung; hinzu kommen Spionageverdächtigungen und der Kampf um Papiere. Pauli erlebte die Zeit so intensiv, dass sie noch 30 Jahre später packend davon erzählen konnte. (Thomas Leitner)

Die gesamte Rezension und mehr über das Buch unter faltershop.at


Fassadenleser # 109

Klaus-Jürgen Bauer

Die gedrungene Ecke

Das kostet kein Eckhaus!“ So sagte man früher, wenn etwas leistbar war. Für das recht große Eckhaus Wallensteinstraße/Hannovergasse – um 1900 durchaus eine bessere Gegend – mussten die unbekannten Bauherren sicher einiges ablegen. Der Gassenname jedenfalls war herrschaftlich. Sie war benannt nach dem König von Hannover, der im Kriegsjahr 1866 aufseiten Österreichs stand und nach der Niederlage von Königgrätz mitsamt seiner Familie und einem Teil seines Heeres vor den Preußen nach Wien flüchtete. 

Das Eckhaus in der Wallensteinstraße/ Hannovergasse mit einer schlichten, neobarocken Fassade (© Klaus-Jürgen Bauer)

Die Architektur dieses Eckhauses kommt jedoch nicht aus der allerersten Liga. Die viergeschossige neobarocke Fassade ist recht schlicht und kompakt. Hier wurden drei Beletages übereinandergeschichtet, aber das Haus als Ganzes wirkt in seiner Unaufdringlichkeit durchaus ansprechend. Schade nur, dass es nicht möglich ist, für dieses Haus eine einheitliche Fassadenfärbelung durchzusetzen, auch, wenn das Gebäude heute mehrere Eigentümer hat. 

Bleibt als wichtigstes Merkmal die breite und behäbige Eckgestaltung: Ganz oben rafft man sich dann doch noch dazu auf, so etwas wie einen Eckturm anzudeuten, ein gedrungener Turm mit einer hinter einem Schild versteckten, spitz zulaufenden Kuppel. Die ungewöhnliche, fast pyramidenförmige Form erinnert ein bisschen an den biedermeierlichen Abschluss des Rathaus-Turmes von Wiener Neustadt: warum auch immer.


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