Guter Trick, WKO! - FALTER.natur #6

Benedikt Narodoslawsky
Versendet am 30.04.2021

Sind Sie jung, haben Sie Kinder, Enkel oder wollen einmal welche? Wenn Ja, dann trifft Sie die folgende Sache mitten ins Herz.

Österreich versagt seit 30 Jahren im Klimaschutz, aber das könnte sich jetzt ändern. Die Grünen, die durch die Klimaprotestwelle der Jugend von der politischen Bedeutungslosigkeit in die Regierung gespült wurden, verhandeln gerade ein neues Klimaschutzgesetz. Man muss die Grünen nicht mögen, aber unbestreitbar geht es hier in der Sache um etwas Existenzielles. Die Klimawissenschaft erklärt, dass wir noch bis 2030 Zeit (also 8,5 Jahre) haben, um eine globale Katastrophe abzuwenden. Die internationale Politik tönt deshalb immer dramatischer. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagt, die Menschheit führe einen "selbstmörderischen Krieg gegen die Natur". US-Präsident Joe Biden nennt die Erderhitzung die "existenzielle Krise unserer Zeit".

Wir sprechen hier nicht von ein paar heißeren Tagen, wir reden davon, dass Ernten im großen Stil ausfallen, Wasser knapp wird, dass die Hitze Landstriche samt Metropolen unbewohnbar machen kann. Wir reden von Krieg, Flucht, Hunger, Tod. Wir reden davon, dass wir heute unsere Zukunft gestalten müssen.

Österreich hat trotz aller Versprechen mehr klimaschädliche Gase in die Luft geblasen als 1990 – dem Jahr, als all die Versprechen anfingen. Das alte Klimaschutzgesetz hätte garantieren sollen, dass die Emissionen sinken. Es ist gescheitert. (Die Gründe hat das Ökobüro hier analysiert.) Moria, Corona, Besetzungspolitik – die Grünen mögen auf vielen Linien enttäuscht haben. Im Klimaschutz sind sie bislang glaubwürdig geblieben. Am Ende ihrer ersten Legislaturperiode werden sie nicht dafür bewertet werden, wieviele Flüchtlinge abgeschoben wurden, sondern ob sie das Land auf Klimakurs gebracht haben. Genau dafür wurden sie gewählt.

Das neue Klimaschutzgesetz ist neben der ökosozialen Steuerreform und der Energiewende eines ihrer wichtigsten Vorhaben. Es soll den rechtlichen Grundstein dafür legen, dass Österreich bis 2040 klimaneutral wird. Der Gesetzesentwurf wurde vor wenigen Tagen an Medien geleakt. Er sieht vor, dass die klimaschädlichen Gase in jedem Bereich - vom Abfall bis zum Verkehr - Jahr für Jahr abnehmen. (Eine kluge Analyse des Entwurfs lesen Sie hier.) Damit das Gesetz diesmal wirkt, soll es Folgen geben, wenn Österreich im Klimaschutz versagt. Bund und Länder müssen für ihr Scheitern zahlen, sollte das nicht helfen, steigen in letzter Konsequenz die Steuern auf fossile Energieträger um 50 Prozent. Es soll damit also sehr teuer werden, das Klima zu schädigen. Denn wenn wir unsere Klima-Ziele nicht erreichen, müssten die SteuerzahlerInnen erst recht tief in die Tasche greifen. Nicht nur, weil die Klimakrise heute schon Milliarden verschlingt, sondern auch, weil Österreich für seine Versäumnisse mehrere Milliarden an die EU zahlen müsste. Das zeigt dieser aktuelle Bericht des Rechnungshofs.

Die ÖVP hat sich im Koalitionsabkommen dazu bekannt, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen. Auch Karlheinz Kopf. Er sitzt seit 1994 im Parlament, länger als jeder andere Abgeordnete. Kopf ist ein Politfuchs, er war lange Zeit Klubchef der ÖVP, gerade arbeitet er hauptberuflich als Generalsekretär der Wirtschaftskammer. Den ambitionierten Entwurf des Klimaschutzgesetzes kanzelte er sofort wortgewaltig ab. "Das klingt mir nach ideologiegetriebener Bestrafungsfantasie", sagte Kopf in der ZiB 2. "Diskriminierungen von einzelnen Energieträgern oder einzelnen Antriebssystemen ohne Alternativen anzubieten, ist unfair."

Die ÖVP-dominierte Wirtschaftskammer macht das, was sie seit Jahrzehnten macht: Sie bremst den Klimaschutz aus und versucht, ehrgeizige Klimapolitik im Keim zu ersticken. In der Klimaszene gilt der mit der Ölindustrie bestens vernetzte Unternehmer-Lobbyverein als größter Bremsklotz. (Wir haben die WKO-Blockadepolitik schon öfter öffentlich gemacht, etwa hier, hier und hier.) Die WKO ist sehr geschickt. Dass die Regierung gerade Alternativen erarbeitet und fördert (von E-Mobilität, Wasserstoff bis zum 1-2-3-Ticket), dass die ökosoziale Steuerreform eine klare soziale Ausrichtung haben soll, all das wird in der Debatte nicht erwähnt. Die Diskussion dreht sich nun um die Steuererhöhung und teures Tanken. Das emotionalisiert und bringt die Leute auf, das Thema lässt sich medial hervorragend für eine Anti-Klimaschutz-Kampagne instrumentalisieren. Guter Trick, WKO!

Sprechen wir Tacheles: Um die Katastrophe abzuwenden, können wir nicht so weitermachen wie bisher. Kohle, Öl und Gas zerstören unser Klima und bringen uns damit an den Abgrund, die fossile Ära muss enden. Kohlestrom, Öl- und Gasöfen, Benzin- und Diesel-Autos – all das muss aufhören. Kurz vor der Katastrophe ist diese Wahrheit den Menschen zumutbar. Völlig klar, dass dieser Wandel sozial gerecht sein muss. Klar ist aber auch, dass uns die Zeit ausgeht. 2050 gilt in der Klimapolitik als das Jahr der Entscheidung. Haben wir bis dahin das Problem nicht gelöst, haben wir die Zukunft verspielt. Dann wird das Klima dermaßen zerstört sein, dass die Welt aus den Fugen gerät, selbst verstärkende Prozesse eintreten und sich die Erde auch ohne menschliches Zutun immer weiter erhitzt.

Im Jahr 2050 wird Karlheinz Kopf 93 Jahre alt sein. Er wird ein schönes Leben gehabt haben. Kinder, die heute geboren werden, sind dann 29 Jahre alt. Kinder, die heute 10 Jahre alt sind, sind dann 39. Wenn Sie heute 20 sind, sind Sie dann 49 Jahre alt. Um den wissenschaftlichen Konsens auf eine einfache Formel zu bringen: Wenn die Politik heute nichts ändert, schicken wir unsere Kinder und Jugendlichen in eine katastrophale Zukunft.

Eine Analyse von Karlheinz Kopfs Aussagen finden Sie im kommenden Falter.

Benedikt Narodoslawsky

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Erstaunlich

Während die türkisgrüne Koalition in Österreich das Klimaschutzgesetz verhandelt, kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das deutsche gestern in wesentlichen Teilen. Mehrere KlimaschützerInnen – darunter auch AktivstInnen von Fridays for Future – hatten das Gesetz bekämpft. Der Richterspruch ist richtungsweisend: Das Gesetz ist zu unambitioniert, die Regelungen in dem Gesetz würden damit die Freiheitsrechte der jungen Menschen verletzen. Eine Analyse des Richterspruchs lesen Sie hier. Mitte April haben übrigens auch österreichische KlimaschützerInnen – ebenfalls unter Beteiligung von Fridays for Future – eine Klimaklage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Wir warten gespannt auf das Urteil.


Gute Nachricht

Rainer Seele, Boss des österreichischen Öl- und Gaskonzerns OMV, gab am Montag überraschend bekannt, seinen Vertrag auslaufen zu lassen. Die Ankündigung folgte einer Reihe von schweren Vorwürfen, über die wir groß in der aktuellen Falter-Ausgabe und in den letzten Newslettern berichteten. Eine der Negativschlagzeilen betraf die OMV-Klage, die das investigative Recherchemedium Dossier existenziell gefährdete. Nach öffentlichem Protest gab die OMV bekannt, die Klage zurückzuziehen. Wir dürfen hingegen bekanntgeben, dass wir künftig mit Dossier zusammenarbeiten werden.


Aus Dem Falter

Nach seinem Besuch in der Schweinefabrik hat Florian Klenk in der aktuellen Ausgabe ein lesenswertes Gespräch mit Tierarzt Rudolf Winkelmayer geführt, der einst Großwild jagte und heute vegan lebt. Winkelmayer erklärt darin seinen Sinneswandel und warum er die Massentierhaltung für legale Tierquälerei hält. Den Podcast mit ihm können Sie hier anhören, ein zweiter Podcast beschäftigt sich mit dem Geschäft der Schweineindustrie. Und warum Sie nicht soviel Wildschwein essen sollten wie Obelix, lesen Sie im Bericht "35 Jahre danach". Dieser beschäftigt sich mit den Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Ein tolles zeitgeschichtliches Fernseh-Fundstück zum GAU finden Sie übrigens hier, mein lieber Kollege Franz Kössler spielt darin als junger ORF-Reporter in Moskau die Hauptrolle.


Empfehlung

Spielverliebte Freunde der Natur, aufgepasst! Die internationale City Nature Challenge (CNC) ist heute angelaufen, Smartphone-Besitzer aus aller Welt treten dabei gegeneinander an, um im freundschaftlichen Wettbewerb so viele wildlebende Tiere, Pflanzen, Pilze und Flechten wie möglich in ihrer Heimat zu dokumentieren. In Österreich machen folgende Orte mit: Graz, Hardegg und der Nationalpark Thayatal, Klagenfurt, Krems und die Wachau, Linz (Großraum), Mondsee - Irrsee, Neusiedler See/Seewinkel, St. Pölten, Waidhofen/Ybbs und Wien. Die Citizen-Science-Chose läuft bis 3. Mai. Alle Infos finden Sie hier.


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