Gerecht ist das nicht - FALTER.natur #95

Benedikt Narodoslawsky
Versendet am 27.01.2023

Wir sind klimapolitisch überhaupt nicht auf Kurs. Die Menge an klimaschädlichen Gasen hat in Österreich wieder zugenommen, das zeigt der neue Bericht des Umweltbundesamts. Während sich jugendliche, verzweifelte Klimaaktivist:innen auf die Straße picken, weil sie wissen, was auf dem Spiel steht, versuchen konservative Politiker:innen sie im Niederösterreich-Wahlkampf zu kriminalisieren. Ich frage mich, was meine Kinder darüber denken werden, wenn sie so alt sind wie ich heute.

So radikal der Protest der Letzten Generation sein mag, so lächerlich ist ihre Hauptforderung: ein Tempolimit von 100 km/h auf der Autobahn. Es ist die einfachste, sozialste und billigste Maßnahme, um das Klima zu schützen. Im deutschsprachigen Raum nimmt die Diskussion gerade an Fahrt auf. Denn das deutsche Umweltbundesamt berechnete jüngst, wie viel CO2 Deutschland einsparen könnte, wenn es ein Tempolimit auf der Autobahn und auf Landstraßen einführen würde: 7,3 Millionen Tonnen CO2. Das ist – um es mit einem Vergleich des Journalisten James Jackson ins Verhältnis zu setzen – deutlich mehr CO2 als die 95 Millionen Einwohner:innen der Demokratischen Republik Kongo (DRK) insgesamt jedes Jahr in die Luft blasen.

Derweil rafft östlich der DR Kongo in Kenia die schlimmste Dürre seit 40 Jahren tausende Wildtiere dahin, darunter Elefanten, Giraffen, Zebras und Gnus. 22 Millionen Menschen sind laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Kenia, Somalia und Äthiopien aufgrund der anhaltenden Dürre von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. 5,1 Millionen Kinder sind akut unterernährt. Und wir im reichen Österreich schaffen es nicht einmal, 30 km/h langsamer auf der Autobahn zu fahren? Gerecht ist das nicht. Und was werden wir unseren Kindern antworten, wenn sie uns Jahrzehnte später danach fragen werden? "Liebes Kind, sorry, wegen der Kriege ums Wasser und sorry, dass jetzt die ganzen Ernten ausfallen, aber du musst verstehen, wir wollten damals einfach 130 km/h auf der Autobahn fahren. Es ging damals wirklich nicht anders."

"Um CO2-Emissionen zu reduzieren, sind vor allem strukturelle Veränderungen durch politische Entscheidungen und auch Regulierungen nötig", analysiert die Ressourcenökonomin Ilona M. Otto vom Wegener Center der Uni Graz. "Drogen sind verboten, und beim Tabak- und Alkoholkonsum gibt es Einschränkungen, weil sie der Gesellschaft schaden. Das ist anerkannt. Produkte und Verhaltensweisen, die die Umwelt gefährden, sind auch nicht gut für die Gesellschaft. Dieses Bewusstsein ist noch nicht vorhanden."

Die Grenze der sozialen Ungleichheit verläuft nicht nur zwischen globalem Norden und globalem Süden, sondern auch zwischen den Generationen und innerhalb der Länder der westlichen Welt. Die Deutschen, die am klimaschädlichsten leben, verbrauchen zehn Mal mehr CO2 als jene, die am klimaschonendsten leben, rechnet Ilona Otto vor und plädiert deshalb dafür, in der Klimapolitik vor allem die Wohlhabenden in die Pflicht zu nehmen. Derzeit läuft es anders. Die EU weitet gerade ihren Emissionshandel aus, aber verschont ausgerechnet Besitzer:innen von klimaschädlichen Yachten und Privatjets von einer finanziellen Mehrbelastung. Wer kann das noch verstehen?

"Umweltungleichheit" trifft die Ärmsten am härtesten. Auch in Österreich. Klara Zwickl, assoziierte Professorin am Department für Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien, veröffentlichte diese Woche eine Studie dazu. Konkret geht es darin darum, wer hierzulande am meisten unter der Feinstaubbelastung leidet. Für den Newsletter habe ich die Studienautorin interviewt:

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Frau Zwickl, was hat Sie auf das Thema gebracht?

Klara Zwickl: Ich habe über die Umweltungleichheit in den USA meine Dissertation geschrieben, dort ist das schon lange ein wichtiges Thema in der Wissenschaft und Politik. Seit den 1980er-Jahren gibt es in den USA hochwertige Daten über die Bevölkerungsmerkmale und Luftschadstoffe. Damit kann man die Umweltungleichheit sehr gut dokumentieren. Wir haben herausgefunden, dass ethnische Minderheiten und arme Haushalte überproportional von industrieller Luftverschmutzung betroffen sind und öfter in der Nähe von Umweltgefahren wie zum Beispiel Fracking-Bohrungen leben. Ich habe mich gefragt, ob sich eine Umweltungleichheit auch in Österreich abbilden lässt.

Tut sie das?

Zwickl: In Österreich – und in ganz Europa – gibt es im Gegensatz zu den USA große Datenlücken. Mittlerweile gibt es zwar gute Daten zu vielen Umweltgefahren, allerdings fehlen vergleichbare Bevölkerungsdaten, um zu ermitteln, wer von einer höheren Belastung durch diese Umweltgefahren betroffen ist. Für Österreich haben wir immerhin auf Gemeindeebene soziodemografische Daten über die Bevölkerung. Wir haben sie mit feingliedrigen Feinstaubdaten von der Europäischen Umweltagentur zusammengeführt und wissen somit für jede Gemeinde die durchschnittliche Feinstaubbelastung sowie deren soziodemografische Zusammensetzung.

Was haben Sie herausgefunden?

Zwickl: Ausländische Staatsbürger:innen sind überproportional stark durch Feinstaub belastet. Dieses Ergebnis gilt sowohl innerhalb Österreichs als auch innerhalb von Bundesländern und politischen Bezirken. Außerdem finden wir, dass in zwei Gemeinden mit dem gleichen Einkommen, ausländische Staatsbürger:innen immer noch mehr Feinstaub ausgesetzt sind. Das Ausmaß der Ungleichheit ist in Städten höher, in denen drei Viertel der ausländischen Staatsbürger:innen leben. Im ländlichen Raum hingegen sind Leute mit niedrigem Bildungsabschluss überproportional von Feinstaubbelastung betroffen.

Wie ist es zu dieser Ungleichheit gekommen?

Zwickl: Um die Frage zu beantworten, bräuchte man Langzeitdaten. Die gibt es aber noch nicht für Österreich. Untersuchungen aus den USA zeigen einerseits, dass Menschen mit niedrigem Einkommen öfter in Gegenden mit schlechter Luftqualität ziehen, weil dort die Wohn- und Lebenserhaltungskosten niedriger sind. Andererseits siedeln Industriebetriebe ihre Anlagen häufiger dort an, wo sie sich weniger Widerstand erwarten und das sind meistens Gemeinschaften mit armen Haushalten, ethnischen Minderheiten und anderen vulnerablen Gruppen.

Welche politische Empfehlung leiten Sie aus Ihrer Studie ab?

Zwickl: Die Feinstaubbelastung ist in weiten Teilen Österreichs immer noch über dem Schwellenwert für saubere Luftqualität, den die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Zugleich sind wir weit davon entfernt, unsere Klimaziele zu erreichen. Lokale Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen hängen stark zusammen, schließlich entstehen beide zu einem großen Teil dort, wo fossile Energieträger verbrannt werden – etwa in der Industrie oder im Verkehr. Eine Verbesserung der Luftqualität durch eine Abkehr von fossilen Energieträgern wäre also nicht nur gut für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und würde die Ungleichheit reduzieren, sondern würde auch das Klima schützen. Umgekehrt erhöht sich vielleicht die politische Akzeptanz für eine ambitioniertere Klimapolitik, wenn wir aufzeigen können, dass diese auch lokale Vorteile für die Gesellschaft und Gesundheit bringen kann.

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Österreichs Umweltbundesamt hat berechnet, dass Autos bei Tempo 100 statt 130 km/h auf der Autobahn im Schnitt um die Hälfte weniger Stickoxide und um ein Drittel weniger Feinstaub ausstoßen. Das Tempolimit ist eine low-hanging-fruit, die so tief hängt, dass man schon aufpassen muss, nicht draufzusteigen. Österreich pflückt sie nicht. Das Land asphaltiert lieber neue Straßen.

Benedikt Narodoslawsky

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VBV-Podcast: VorDenken gegen Altersarmut

Und wie sich davor schützen? Finanzexpertin Larissa Kravitz erklärt uns, wie man bereits bei der Wahl des Arbeitgebers, den eigenen Wohlstand im Alter beeinflussen kann, wann der beste Zeitpunkt ist, selbst in die Vorsorge einzusteigen und warum man dabei auf heiße Tipps lieber nicht hören sollte.


Versiegeltes Land

Laut den aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts liegt Niederösterreich als größtes Bundesland im Ranking der versiegelten Flächen nicht nur in absoluten Zahlen ganz vorne (685 Quadratkilometer, das ist etwa die doppelte Fläche des Neusiedler Sees). Es belegt auch den zweiten Platz in der Kategorie "Versiegelte Fläche pro Einwohner".

Niederösterreich will die Zersiedelung nun mit einer flächendeckenden Regionalplanung eindämmen, bereits 2020 haben ÖVP, FPÖ und Grüne ein strengeres Raumordnungsgesetz beschlossen. In der Verkehrspolitik ist das Land allerdings immer noch auf Betoniererkurs. Diese Woche protestierten sogar Bauern – die Kernklientel der ÖVP – im Wahlkampf gegen die schwarze Bodenpolitik. Mehr über den Konflikt lesen Sie im FALTER-Naturressort.

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Veranstaltungstipp

Zu den umstrittensten Straßenprojekten in Niederösterreich zählt das Lobauprojekt, das Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) zwar abgesagt hat, für dessen Bau Wien und Niederösterreich aber weiterhin entschlossen kämpfen. Der Absage des Großprojekts war ein lauter Protest von Klimaaktivist:innen vorangegangen, die monatelang Baustellen besetzt hatten – und damit ein Stück Geschichte schrieben.

Das Volkskundemuseum in Wien würdigt den erfolgreichen Protest nun in einer Schau über die Geschichte der österreichischen Umweltbewegung – von Zwentendorf bis zum "Lobau bleibt"-Protest. Herzstück der Ausstellung sind Zeitzeugengespräche mit Aktivist:innen aus fünf Jahrzehnten. Falls Sie sich dafür interessieren, finden Sie hier alle Infos und hier meine Rezension.


Hörtipp

Noch ein Tipp zum Nachhören: Die Interviews mit den Zeitzeug:innen führten Sophia Rut und Julia Vitouch, die die Schau mitkuratierten und bereits 2021 für den FALTER-Podcast die dreiteilige Serie "Geschichte der Ökologiebewegung" gestalteten. Sie können die Folgen kostenlos hier nachhören.


Plädoyer fürs Tempolimit

Doris Knecht hat in ihrer FALTER-Kolumne ein Plädoyer für Tempo 100 verfasst. Folgenden Auszug daraus möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: "Aus meinem Selbstversuch mit Tempo 100 auf der Autobahn ist längst Normalität geworden. Zu Beginn tat ich es, um Benzin zu sparen. Dann, weil mir bald alles über 100 km/h zu rasant vorkam, ich merke es, wenn ich mal einen Lkw überhole. Ich fühle mich unsicher, nicht gut gerüstet für eventuell notwendige Reaktionen. Der VCÖ bestätigt das: Ist ein Auto mit Tempo 100 unterwegs, kommt es bei plötzlicher Bremsung nach 74 Metern zu stehen. Bei Tempo 130 beträgt der Bremsweg 123 Meter. Ich fahre auch deshalb 100, weil ich es vernünftig finde, klimakatastrophentechnisch. Also, es ist vernünftig und es wäre, wie verschiedene Studien bestätigen, wirklich gescheit, wenn es zum allgemeinen Standard würde." Die ganze Kolumne finden Sie hier.


Gratulation

Fürs Tempolimit setzt sich auch Astronom, Autor und Wissenschaftskommunikator Florian Freistetter ein, bekannt aus der Kabaretttruppe Science Busters und Gestalter mehrerer Podcasts. Mitte Jänner solidarisierte er sich gemeinsam mit anderen Wissenschaftler:innen mit Aktivist:innen der Letzten Generation und stellte sich demonstrativ für sie auf die Straße.

Wenige Tage später hat er ein Mega-Projekt abgeschlossen: Gemeinsam mit der Meteorologin Claudia Frick ackerte er den neuen, extrem fetten Bericht des Weltklimarats (IPCC) durch und arbeitete ihn im Podcast "Das Klima" auf. Die letzte Folge ist nun abgedreht, wir gratulieren dazu ganz herzlich. Wenn Sie's nachhören wollen, klicken Sie hier.

Und noch ein Grund zum Feiern: Der erste FALTER-Newsletter, das Maily, wurde gestern 1000 Ausgaben alt. Nächste Woche feiert der FALTER.morgen – der größte Newsletter im FALTER-Universum – seinen 500er. Beide Newsletter behandeln immer wieder auch brisante Umweltthemen, Sie können sie kostenlos und ohne schlechtes Gewissen hier (Maily) und hier (Morgen) abonnieren.


Was Sie noch im Falter finden

Katharina Kropshofer reiste fürs Politik-Ressort in die oberösterreichische Marktgemeinde Molln, in der die Nationalpark-Gesellschaft Kalkalpen ihren Sitz hat. Direkt neben dem Nationalpark will ein Unternehmen nach Gas bohren. In der Gemeinde regt sich nun Widerstand gegen das Projekt. Kropshofer geht in ihrem Artikel der Frage nach, ob neues inländisches Erdgas für Österreich Segen oder Fluch wäre.

Peter Iwaniewicz präsentiert wiederum eine Vorschau, was alles so im Jahr 2023 steckt – vom "Internationalen Jahr der Hirse" (Vereinte Nationen) über das "Jahr des Hasen" (China) bis hin zum "Jahr der Kompetenzen zur Förderung lebenslangen Lernens" (Europäische Union). In seiner Tierkolumne verdichtet Iwaniewicz die Vorgaben und ruft daher folgerichtig das Jahr der Artenkenntnis aus. Wenn Sie ohne Nachschauen erraten, wie dieser Hai heißt, der sein Maul nicht halten kann, stehen die Chancen gut, dass Sie im Jahr der Artenkenntnis eher keine Nachhilfe mehr brauchen werden.


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