Patient Zero der Klimakrise - FALTER.natur #102

Barbara Tóth
Versendet am 17.03.2023

Letztens habe ich mich für eine TV-Debatte mit Klimawandelskeptikern vorbereiten müssen. Mir gegenüber saß der ehemalige Spiegel-Chef und heutiger Welt-Herausgeber Stefan Aust. Alles übertrieben (Stichwort "Untergangsirrsinn"), die Klima-Maßnahmen der Politik schaden unsere Wirtschaft und damit unserem Wohlstand, Jugendliche würden sich durch die Klima-Demos radikalisieren - seine Argumente waren nicht neu.

Wie dagegenhalten? Ich wollte nicht mit abstrakten Zahlen, Daten, Fakten daherkommen, also suchte ich nach etwas Greifbarem, Emotionalen. Und da fiel mir natürlich der Neusiedler See ein, das viel geliebte Meer der Wienerinnen und Wiener - und mein zweites Zuhause. Stand heute nur mehr eine Riesenlacke und in naher Zukunft vielleicht auch nur mehr ein Schlammfeld, so wie einer seiner kleineren Nachbarn, der Zicksee, der letzten Sommer austrocknete und Tonnen an Fischleichen zurückließ.

Wie kann man die Sorge um Umwelt und Klima für übertrieben halten, wenn man wenige Kilometer südöstlich von Wien quasi in Echtzeit zuschauen kann, wie ein Steppensee versiegt? Ich war vergangenen Dienstag vor Ort: Die Strandbäder wirken heute schon wie Tourismusruinen, die Hafenanlagen sind verwaist, kaum eine Bootsbesitzer:in wird heuer ihr Boot slippen können. Zwischen Winden und Breitenbrunn hat ein Feuer jüngst den staubtrockenen Schilfgürtel verwüstet, vor der verkohlten Kulisse könnte man sofort einen dystopischen Klimathriller drehen.

Der Neusiedler See ist "Patient Zero" der Klimakrise, wie es ein brandaktuelles neues Buch ("Das Ende des Neusiedler Sees? Eine Region in der Klimakrise. Herausforderungen. Perspektiven. Lösungen", Residenz Verlag) so treffend beschreibt.

"Aber geh, der See ist doch immer wieder einmal ausgetrocknet", heißt es dann gerne.

Das stimmt, zuletzt war das 1865 der Fall. Auch in den 1920er und 1940er-Jahren war der See mehr "Landschaftselement" als Badesee. Aber die Bedingungen damals sind mit der massiven Umweltumbrüchen heute nicht vergleichbar. Die Klimazone von Nordmazedonien wird bis Mitte des Jahrhunderts rund tausend Kilometer Richtung Norden gewandert sein, schreibt Meteorologe Markus Wadsak im Buch. Das bedeutet für die Region Neusiedler See: heiße Sommer mit sehr geringen Niederschlägen und vielen Hitzetagen, die von Anfang Juni bis Mitte September reichen.

Die Trockenheit in Österreichs Ostregion ist jetzt schon extrem. Im Winter gab es wenig Schnee, zuletzt kaum Regen, im Februar ein Drittel weniger Niederschlag als normal. Der Wasserstand der Leitha und der Wulka sinken täglich. Das beeinflusst wiederum den Grundwasserspiegel. Wenig Grundwasser heißt weniger Wasser in den vielen kleine Badeseen, im Feuchtgebiet des Hansag mit seinen Sümpfen und in den Salzlacken des Seewinkels, damit auch im Neusiedler See – und im eigenen Garten, wo der Hausbrunnen trocken fällt.

Expertinnen und Experten sehen jetzt vor allem die Landwirtschaft gefordert. Der wasserintensive Mais-, Weizen- und Sonnenblumenanbau in der Region gehört zurückgefahren, wenn nicht gestoppt, die Überkronenbewässerung verboten. Die Landesregierung appelliert bereits an alle, die in der Region wohnen, sparsam mit dem Wasser umzugehen. Und wir schreiben gerade einmal März. Solche Meldungen kennt man sonst nur aus Spanien oder Italien im Hochsommer. Jetzt müssen wir sie in Österreichs östlichsten Bundesland erleben. Wenn das einem nicht die Augen öffnet, was dann?

Barbara Tóth

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Wissensquell

Zum Thema Trockenheit lassen wir beim FALTER jedenfalls keine publizistische Wüste entstehen: Hier mahnt Katharina Kropshofer einen Notfallplan gegen Wasserknappheit in Österreich ein. Hier beschreibt Matthias Dusini den Zusammenhang von Massentourismus und Wassernot in Südtirol. Und hier lesen Sie einen klugen Longread von Clara Pórak über Gründe für und Maßnahmen gegen die Austrocknung des Neusiedlersees.


Bodenhaftung

Versiegelung und Flächenfraß sind ein großes Problem in Österreich, noch diesen Monat soll der Bodenverbrauchsplan bis 2030 vorgelegt werden. Der WWF hat einen Entwurf gesehen und schlägt Alarm: Nur unverbindliche Empfehlungen, keine verpflichtenden Ziele und Maßnahmen; damit wird man dem exzessiven Flächenverbrauch nicht beikommen, so das Fazit. Zusammen mit dem Rechtsprofessor Daniel Ennöckl hat die Umweltschutzorganisation deshalb 12 Empfehlungen für einen wirksamen Bodenschutz ausgearbeitet. Hier können sich politisch Verantwortliche und Interessierte schlau machen.

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Das Zootier des Jahres

Der Ara steht 2023 im Mittelpunkt der Zoolandschaft: der intelligente Papageienvogel macht, stellvertretend für alle Tierarten, die durch Lebensraumverlust und Wilderei vor der Ausrottung bedroht sind, aufmerksam. In Herberstein lebt eine Wohngruppe von 4 Aras.

Die Tierwelt Herberstein ist täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet.


Neue Wege

Wie Umwelt- und Klimafragen ins Rechtssystem eingewoben und dadurch wirksam gemacht werden könnten, damit beschäftigt sich Daniel Ennöckl in seiner Tätigkeit als Professor für Klima- und Umweltrecht an der Universität für Bodenkultur Wien. Katharina Kropshofer hat ihn und seine Arbeit vor wenigen Wochen für den FALTER porträtiert.


Was zum Kuckuck?

Es ist wohl der berühmteste Vogelruf unserer Breitengrade: Der charakteristische "Kuckuck"-Ruf. Als Folge des menschengemachten Klimawandels kehren die Vögel immer früher aus ihren afrikanischen Winterquartieren nach Europa zurück. Um diese Entwicklung zu verstehen, ruft die Organisation Birdlife im Rahmen eines Citizen Science-Projekts dazu auf, die ersten "Kuckuck"-Rufe des Jahres zu dokumentieren. Wenn Sie also Zeit und Lust haben: Gehen Sie raus, lauschen Sie, und tragen Sie Ihre Beobachtungen hier ein!


Zukunfts(horror)szenarien

Im neuen Science-Fiction-Thriller des Bestseller-Autors Marc Elsberg "Celsius" führt die Klimakrise in einen Weltkrieg und dann in die totale Katastrophe. Schon einmal hat Elsberg mit "Blackout" einen Roman geschrieben, der von der Realität eingeholt wurde. Was muss geschehen, damit das in dem Fall nicht passiert? Im aktuellen FALTER lesen Sie ein großes Interview mit Marc Elsberg über Geoengineering, die rätselhaften Dynamiken der Weltpolitik und Klimaaktivismus.


Einladung

Am 21. März können Sie Marc Elsberg im Rahmen des Wiener Stadtgesprächs, organisiert von FALTER und Arbeiterkammer, lauschen. "Wer kontrolliert das Klima?", diese Frage steht im Mittelpunkt des Gesprächs. Beginn ist um 19h, der Eintritt frei, hier können Sie sich anmelden.


Cli-Fi

Wenn Sie sich den Themen Klimawandel und Natur gerne über die Fiktion nähern, haben wir zwei weitere Buchempfehlungen aus dem Genre "Climate Fiction" für Sie: "Das Ministerium für die Zukunft" spielt inmitten einer Art Hitze-Apokalypse, "Die Präambel vom Sämann" skizziert die gesellschaftlichen Krisen, die die Klimakatastrophe unweigerlich nach sich ziehen würde.


Frage der Woche

Die dieswöchige Frage der Woche stammt von unserem Leser Gottfried Siehs, es geht um die Photovoltaik (PV). "Mit PV wird Sonnenenergie 'eingefangen'. Da Energie nicht verloren gehen, sondern nur umgewandelt werden kann, wird diese letzten Endes in Wärme umgesetzt. Also trägt die Energie, die sonst ins Weltall zurück reflektiert würde, zur Erderwärmung bei?", fragt Siehs.

Wir haben die Frage an das Klimaforschungsnetzwerk Österreich CCCA weitergereicht. "Energie wird von der PV nicht 'eingefangen', sondern umgewandelt, so wie jede andere Energieform auch. Alle auf der Erde vorkommende Energie kommt von der Sonne und wird durch verschiedene Systeme dann umgewandelt. Bei der PV wird Sonnenenergie direkt umgewandelt - ohne CO2. Aber sie gibt natürlich auch Abwärme ab, die gegebenenfalls auch wieder genutzt werden könnte", erklärt Claudia Michl vom CCCA. Generell gelte: "Energie wird zum Teil von der Oberfläche und der Atmosphäre absorbiert, zum Teil ins Weltall zurückgeworfen." Wie die Energie, die auf die Erde kommt, wieder ins Weltall entschwindet, hat Benedikt Narodoslawsky in einem Natur-Newsletter hier erklärt. Mehr über die PV-Technologie liefert die PV Austria hier.

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