Drei Erkenntnisse - FALTER.natur #111

Benedikt Narodoslawsky
Versendet am 19.05.2023

Vergangene Woche wanderte ich mit Christian Übl durch den Nationalpark Thayatal entlang der tschechischen Grenze. Dort oben, wo das trockene pannonische Klima auf das feuchte atlantische trifft, gibt es eine erstaunliche Artenvielfalt. Um sie zu veranschaulichen, griff Übl am Wegrand ins Gestrüpp. Feldahorn, Weißdorn, Linde, Roter Hartriegel, Hundsrose, Wolliger Schneeball, Liguster, Seidelbast, Spindelstrauch – alles lag nur eine Armlänge entfernt. "Wenn man sonst irgendwo in anderen Wäldern unterwegs ist, muss man eineinhalb Kilometer gehen, damit man genau dieselbe Vielfalt hat", sagte Übl, seines Zeichens Direktor des Nationalparks Thayatal, "bei uns ist das auf einem Quadratmeter beieinander."

Sein Nationalpark ist der kleinste in Österreich, etwa doppelt so groß wie der Wiener Prater. Oder anders gerechnet: Er nimmt 0,015 Prozent des Staatsgebiets ein. Trotz seiner Kleinheit kommen hier rund die Hälfte aller österreichischen Säugetiere, Reptilien und Amphibien vor, etwa ein Drittel aller heimischen Vögel und Pflanzen. "Es zahlt sich wirklich aus, so besondere Flächen zu schützen", sagte Übl.

Österreich beschränkt seine Natur ohnehin auf ein Minimum. Kaum drei Prozent der Staatsfläche sind Wildnisgebiete und Nationalparks, erfüllen also die strengsten Naturschutzkriterien. Wie wertvoll diese Flecken für Österreichs Flora und Fauna sind, machte mir bereits die Umweltbundesamt-Studie "Wir schützen Österreichs Naturerbe" vor zwei Jahren klar. Aus meiner dreitägigen Tour durch drei Nationalparks nehme ich mir aber drei frische Erkenntnisse mit (Offenlegung: Die Pressereise organisierte Nationalparks Austria, der FALTER kam für die Unterbringung selbst auf).

Erstens, streng geschützt heißt nicht, dass der Mensch nicht in die Natur eingreifen darf. Manchmal muss er sogar etwas tun, um die Artenvielfalt zu bewahren. Etwa im Nationalpark Neusiedler See - Seewinkel, wo das Nationalpark-Management Rinder auf seinen Wiesen grasen lässt, um die Vogelwelt zu retten. Mehr darüber erfahren Sie in dieser aktuellen FALTER-Reportage.

Zweitens, der Nationalpark Thayatal ist mit 13,6 Quadratkilometern zwar Österreichs kleinster Nationalpark, aber man muss über die Staatsgrenze – die Thaya – blicken, um das gesamte ökologisch wertvolle Gebiet zu fassen. Gemeinsam mit dem deutlich größeren tschechischen Teil – dem Nationalpark Národní park Podyjí – erstreckt sich das Naturschutzgebiet nämlich auf über 77 Quadratkilometer, ist also fast sechs Mal so groß. Weil die Natur keine Grenzen kennt und es für jede Seite der Thaya wichtig ist, was auf der jeweils anderen passiert, bedeutet das: Länderübergreifende Zusammenarbeit ist für den Umweltschutz enorm wichtig.

Drittens, dass es sechs Nationalparks in Österreich gibt, hat einen wesentlichen Grund: das Engagement der Zivilgesellschaft. Der Nationalpark Donau-Auen entstand dank der legendären Au-Besetzung in Hainburg, als Naturschützer:innen gegen ein Wasserkraftwerk protestierten. Ähnlich war es beim Nationalpark Thayatal. Auch dort machten Bürger:innen gegen ein Kraftwerk mobil, das jenseits der Grenze geplant war und die Thaya aufgestaut hätte. Und hätten sich die Kalser Frauen nicht gegen den Bau einer gigantischen Staumauer gewehrt, würde der Nationalpark Hohe Tauern heute auch ganz anders aussehen. Dass Österreich diese wertvollen Hotspots der Artenvielfalt bewahren konnte, verdanken wir also dem eisernen Willen weniger Menschen, die sich mit den Mächtigen angelegt haben.

Ich denke, aus diesen drei Erkenntnissen lassen sich drei grundsätzliche Regeln für Menschen ableiten, die die Natur schützen und Großes bewegen wollen: Sie müssen etwas tun. Sie müssen zusammenarbeiten. Und sie brauchen Mut.

Kommen Sie gut ins Wochenende!

Benedikt Narodoslawsky

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Klimabewegung

Protest wirkt. Das beweist die Geschichte der Nationalparks. Leicht ist er aber so gut wie nie. Das kann man heute am Beispiel der Letzten Generation beobachten, die verunglimpft und kriminalisiert wird. Einen besonders krassen Fall von Rufschädigung hat meine Kollegin Nina Brnada im aktuellen FALTER recherchiert. Wie stark die "Klimakleber" polarisieren, merke ich auch regelmäßig in unseren Redaktionssitzungen – wie weit die Meinungen auseinanderliegen, können Sie hier und hier nachlesen.

Während Teile Italiens nach einer langen Trockenheit in den Fluten untergehen und eine tödliche Hitzewelle über Südostasien rollt, werden aber nicht nur die Kritiker:innen, sondern auch die Unterstützer:innen der radikalen Klimabewegung lauter. Im Jänner haben sich angesehene Wissenschaftler:innen mit den Aktivist:innen verbündet, nun stärken ihnen auch berühmte Kabarettist:innen den Rücken – allen voran die Science Busters. Das ist ein mutiger Schritt. Schließlich sind die Künstler:innen von der Gunst des Publikums abhängig, und derzeit ist die Letzte Generation in der Bevölkerung maximal ein Minderheitenprogramm. Warum sie es dennoch machen, hat David Scheid – einer der Kabarettist:innen – in einem eingängigen, unverblümten FM4-Song künstlerisch verarbeitet. Hier ein kleiner Auszug.

Es geht steil bergab,
Oida, es geht steil bergab.
Ich hab Hater in mei'm Gnack,
weil ich sag, was ich nicht pack:

Oida, ain't no Planet B,
Motherfucker, das ist Fakt.


Umweltpolitik 1

Bleiben wir noch kurz beim Thema: Unsere Natur kränkelt seit geraumer Zeit, die Europäische Union versucht gerade, sie mithilfe einer Verordnung wieder gesundzupflegen: Mit dem Nature Restoration Law will die EU-Kommission geschädigte Lebensräume im großen Stil wiederherstellen. Und weil die Europäische Union wir alle sind, dürfen auch wir Österreicher:innen mitreden – oder besser gesagt die neun Naturschutz-Landesrät:innen (fünf SPÖ, zwei FPÖ, je einer ÖVP und Grüne).

Am Mittwoch haben sie sich im burgenländischen Rust getroffen. Ihre Position: Sie stellen sich gegen den ehrgeizigen Entwurf aus Brüssel. Gegen diese Blockadehaltung haben wiederum eine Reihe von Naturschützer:innen in Rust protestiert. Schließlich spielen die Bundesländer eine wesentliche Rolle darin, wie Österreich über die geplante Verordnung in der EU abstimmen wird. Über die Proteste berichtete Katharina Kropshofer im FALTER.maily. Im Natur-Ressort analysiere ich, wo derzeit die politischen Frontlinien verlaufen.


Umweltpolitik 2

Und weil wir gerade beim Thema Blockieren sind. Die SPÖ hat vergangene Woche angekündigt, Verhandlungen mit der Regierung zu verweigern, wenn diese nicht ihre Forderung in puncto Teuerungsbekämpfung erfüllt. Das Problem der roten Taktiererei: Das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz und das Energieeffizienzgesetz – zwei enorm wichtige Klimaschutzgesetze – kann die schwarzgrüne Koalition damit de facto nicht beschließen, weil sie dafür im Parlament eine Zweidrittelmehrheit braucht. Realpolitisch kann ihr die nur die SPÖ besorgen, weil die FPÖ schon jetzt alles tut, um effektive Klimapolitik zu verhindern. Warum die Sozialdemokraten mit ihrer Blockadehaltung nicht nur dem Klimaschutz schaden, sondern auch sich selbst, habe ich hier kommentiert.


Empfehlung

Das Bauernhofsterben schreitet voran. Im Grünen Bericht 2022 des Landwirtschaftsministeriums liest sich das trocken so: "Mit der Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen und/oder mit der Nutztierhaltung beschäftigten sich im Erhebungsjahr 110.781 landwirtschaftliche Betriebe, um 21 % weniger als vor zehn Jahren."

Viel Arbeit für wenig Geld, Überlastung, Einsamkeit und Alkohol: Etliche Landwirt:innen leiden unter Depression und Burnout. Wie man ihnen helfen kann, hat FALTER-Redakteurin Katharina Kropshofer gemeinsam mit der freien Journalistin Juliane Fischer hier beschrieben. Depression auf dem Bauernhof spielt auch eine zentrale Rolle in Florian Klenks Bestseller Bauer und Bobo.

Dieses wichtige Thema behandelt nun auch die aktuell wohl beste Podcast-Serie aus Österreich, nämlich "Die Geschichte der Ascher-Schwestern". Zwei Bergbäuerinnen begingen vor 30 Jahren gemeinsam Suizid. Radiojournalistin Sarah Seekircher war mit den beiden Schwestern verwandt und rollt den Fall detektivisch auf. Das Projekt ist das Resultat des Ö1-Feature-Podcastpreises "moving_audio". Nach den ersten drei der sechs Podcast-Teile kann ich Gänsehaut-Feeling garantieren. Wer Podcasts nicht leiden kann: Die Serie können Sie sich auch als Ö1-Hörbild anhören.

Falls Sie selbst unter Depressionen leiden oder Suizidgedanken haben, finden Sie hier Hilfe.


Zum Nachdenken

Peter Iwaniewiczs Kolumne hat mich diese Woche sehr berührt. Er schreibt darüber, dass wir den jungen Generationen zunehmend die Möglichkeiten nehmen, "ohne Begleitung die Natur zu erkunden, auf Bäume zu klettern oder in einer Wiese – nicht auf einem Rasen – zu liegen".

Iwaniewicz zitiert dabei die Erfahrungen eines britischen Biologen: "Sein Urgroßvater konnte als Achtjähriger noch zehn Kilometer bis zu einem Teich angeln gehen. Dessen Schwiegersohn durfte im selben Alter durch den anderthalb Kilometer entfernten Wald streifen. Der Tochter des Biologen war es in den 1970er-Jahren nur mehr erlaubt, mit dem Rad durch die Nachbarschaft zum Schwimmbad zu fahren. Sein Enkel darf jetzt allein nur mehr bis ans Ende der Straße gehen und wird mit dem Auto zur Schule gefahren. Damit fehlen diesen Generationen ganz wesentliche emotionale, haptische und kognitive Erfahrungen."

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