Investigativ in der Natur - FALTER.natur #114

Florian Klenk
Versendet am 09.06.2023

Kürzlich hatten wir die Chefin der Wiener Grünen als Blattkritikerin zu Gast. Wir diskutierten darüber, ob wir im FALTER.natur-Ressort öfter über die Klimakrise berichten sollen oder doch lieber über die wunderschöne Welt der Tiere und Pflanzen.

Wir machen zwar beides, Judith Pühringer wünschte sich aber mehr Klima. Manchmal drucken wir dort aber zum Beispiel nur Nahaufnahmen von Insekten ab (schauen Sie mal hier rein) oder führen Interviews mit Tieren. Sie finden Sie hier, hier und hier. Für mich sind das die eindringlichsten Appelle für Klimaschutz, Tierwohl und Rettung der Artenvielfalt.

Ich glaube überhaupt, dass man die Herzen der Menschen für die Anliegen der Klimabewegung eher durch die akribische Beschreibung von Lebewesen eröffnet als durch Katastrophismus, Superkleberaktionismus und Weltuntergangsgeheul.

Wer investigativ in das faszinierende Leben einzelner Tiere eintaucht und seien sie auch noch so klein, der erzeugt Empathie mit ihnen und der Natur. Das geht sogar bei Spinnen. Probieren Sie es einmal. Wenn Sie eine wirklich grausliche Spinne sehen, dann tun Sie das, was Peter Iwaniewicz, unser Tierkolumnist predigt.

Sagen Sie nicht "Iiiiiiiih!", sondern "Ahhhhh". Zücken Sie Ihr Handy, fotografieren Sie das Tierchen, finden Sie heraus, wie es sich vermehrt, was es isst und wie es fühlt. Und schon werden Sie seinen Lebensraum verteidigen, wie das Eichhörnchen seine Brut hoch oben im Kobel in meinem Garten.

Einer, der mir die Welt der Insekten und Pflanzen so nahe bringt, wie kein Biologielehrer es je geschafft hat, ist übrigens Christian Reiter mit dem ich jede Woche einen Podcast veröffentliche. Reiter ist Gerichtsmediziner und er sieht sich in der Tradition des mittelalterlichen "Physikus". Das waren jene allseits gelehrten Stadtärzte, die nicht nur Kenntnisse in Humanmedizin hatten, sondern auch in anderen Disziplinen, etwa Biologie oder Zoologie.

Reiter forscht über Fliegen und züchtet Bienen und er klärte mich zum Beispiel anhand des Podcasts über einen Gerichtsprozess gegen einen Pfleger darüber auf, wie sich Fleischfliegen vermehren. Anders als Schmeißfliegen schmeißen Sie keine Gelege in Mülltonnen oder auf Leichen, sondern legen Larven in die Mäuler von Schnecken oder in die Öffnungen von Regenwürmern. Weil man Letztere nur erwischt, wenn es regnet (da schauen sie kurz aus der Wiese raus, um ihre Höhlen zu verschließen), legen Fleischfliegen ihre Larven nicht bei Trockenheit. Und daher paaren Sie sich am Tag bevor es schüttet. Aber wie wissen die Fliegen, dass es bald regnen wird? Das wissen wir nicht.

Reiter könnte ich stundenlang zuhören. Wenn er etwa über Bienen spricht und wieso sie Imkern ein längeres Leben bescheren. Wie sich Zerkarien in der Alten Donau vermehren und was das über den Klimawandel erzählt (die Folge kommt erst). Wirklich fasziniert war ich auch darüber, wie sich die kleine Buckelfliege durch winzige Öffnungen von Zinnsärgen in Marmorgruften zwickt und dort ihre Kinder Adelige oder Johann Wolfgang von Goethe verspeisen lässt, sodass deren Gesichter zwar in der Form erhalten bleiben, aber nur noch aus vertrockneten Fliegenpuppen bestehen, die bei Berührung zusammenfallen wie verleimte Sägespäne.

Ich versinke, wenn ich Reiter zuhöre, oft in einen Gedanken. Ich träume, dass wir in ein paar hundert Jahren so viel mehr über die Intelligenz und die Fähigkeiten der Tiere wissen, dass wir auf uns erschrocken zurückblicken und uns die Frage stellen werden, wieso wir sie oft so nebenbei erschlagen, abstechen oder quälen. Oder eben durch den Klimawandel ausrotten.

Florian Klenk

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