Der Irrtum der Letzten Generation - FALTER.natur #129
Kürzlich hatten wir in der Redaktionssitzung eine Kontroverse über die Klimakleber. Es gibt bei uns dazu grob gesagt zwei Fraktionen. Die ...
Augen zu, Mundwinkel oben, die Hände erleichtert vors Gesicht geschlagen: Selten hat man Greta Thunberg so glücklich gesehen wie am Donnerstag. Nach wochenlangem Tauziehen hatten die EU-Parlamentarier knapp, aber doch für das Renaturierungsgesetz gestimmt. Es ist ein Kernprojekt des Green Deal, ausgerufen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP).
Noch Stunden vor der Abstimmung trauten sich selbst erfahrene Parlamentarier nicht auf den Ausgang zu wetten. Von der Leyens eigene Parteikollegen von der EVP, darunter auch die ÖVP, hatten gemeinsam mit rechten Fraktionen gegen das Vorhaben mobil gemacht: Es bedrohe die Versorgungssicherheit. Am Donnerstag aber stimmten dann doch Sozialdemokraten, Grüne sowie Teile der Liberalen und einzelne EVP-Abgeordnete dafür.
Ziel des „Nature Restoration Law”: Wälder sollen wieder wilder werden, Moore feucht und Wiesen bunter. Flüsse sollen freier fließen dürfen (hier sehen Sie ein Projekt an der Donau). Bis 2030 soll mindestens ein Fünftel der geschädigten Ökosysteme in der EU renaturiert werden, bis 2050 die gesamte EU ökologisch wieder im Gleichgewicht sein. Das soll Blauracke, Feldhamster und Wildbiene schützen, Artensterben und Erderhitzung bremsen und Überflutungen vorbeugen.
Nach der Abstimmung meinte EVP-Chef Manfred Weber, es werde in den nächsten Jahren gar nicht um Klima- und Umweltschutz gehen, sondern um „Wettbewerbsfähigkeit und Jobs.” Und das, wo sich gerade Hitzerekorde, Stürme, Starkregen und Muren abwechseln und die Klimakrise höchst deutlich in unseren Alltag und Wohlstand einbricht.
Auch Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) findet das Gesetz „überschießend”. Die EU-Kommission wolle beim Renaturieren auf den Zustand von 1953 zurückgehen, das müsse man sich einmal vorstellen. Auf die Frage, wie weit er zurückgehen wolle, erklärte er, “nach vorne” zu blicken. Aber tut er das wirklich?
Die Agrarvertreter haben recht, wenn sie um fruchtbare Böden fürchten und die Versorgungssicherheit einmahnen. Doch nicht das Renaturierungsgesetz bedroht diese: Es sind der Klimawandel und der immense Bodenverbrauch.
Beide bedrohten Europas Böden, erklärten Forscher am Donnerstag bei einer Veranstaltung des Wissenschaftsnetzes „Diskurs”. Für Österreich rechnete die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit schon vor Längerem vor, dass der Klimawandel die Erträge bis 2050 fast um ein Viertel drücken werde. In Ostösterreich mit seinen wichtigen Anbaugebieten sollen sie sogar fast um die Hälfte schrumpfen. Für ganz Europa sei ein Minus von 15 Prozent zu erwarten, erklärte Martin Gerzabek, Bodenexperte an der Wiener Universität für Bodenkultur.
Russland hingegen könne wegen der auftauenden Permafrostböden seine fruchtbaren Bodenflächen bis 2065 um die Hälfte ausweiten, China um 30 Prozent. „Man möge sich überlegen, wer dann das Sagen haben wird”, so Gerzabek.
Es gehe beim Restoration Law „nicht um den Schutz der Natur, es ist ein ganz zentrales Gesetz für unser Überleben”, sagte Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrum. Tanneberger hat als eine von rund 6.000 Wissenschafter*innen einen Offenen Brief pro Renaturierung unterzeichnet: Nicht Umweltschutz, sondern der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität bedrohten Europas Ernährungssicherheit, hieß es darin.
Beispiel Moore: Trockengelegte Moore machen zwar nur drei Prozent der landwirtschaftlichen Fläche aus, sind aber laut Tanneberger für ein Viertel aller agrarischen Emissionen verantwortlich. Dass die zu renaturierenden Flächen allesamt nicht mehr genutzt werden könnten, stimme nicht: Wiedervernässte Moore etwa lassen sich mit der Paludikultur nutzen.
“Wir müssen Landwirtschaft neu denken”, sagt auch Bodenexperte Gerzabek. Das heißt aber nicht, dass nur die Bauern etwas ändern müssen und alle anderen sich zurücklehnen. „Mehr als die Hälfte der Ackerflächen in Österreich werden derzeit für die Futtermittelproduktion verwendet”, mahnte Martin Schlatzer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Mit weniger Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten würde sehr viel weniger Flächen benötigt. Schlatzer schlägt daher eine Einpreisung der Folgekosten tierischer Produkte vor: So würden diese teurer, pflanzliche aber billiger.
Klar ist aber auch, dass die Bauern beim Umstellen alle Unterstützung bekommen müssen. Selbst Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock und einer der Initiatoren des Offenen Briefs, räumt ein, dass Landwirte derzeit bei Bemühungen für mehr Natur zu viel Bürokratie und zu geringe Prämien sehen.
Doch die Parlamentarier haben Checks und Balances durchaus eingeplant: Im Falle außergewöhnlicher Auswirkungen dürfen Zielvorgaben verschoben werden. Reicht das Geld nicht, muss die Kommission eine Lösung suchen. Zunächst aber muss das Parlament die Verordnung ohnehin mit den Mitgliedsstaaten endverhandeln, und in der genauen Ausgestaltung sind die Länder dann frei.
Vor allem aber muss auch Österreich sein Problem mit dem hohen Bodenverbrauch angehen, der der Landwirtschaft teils bestes Ackerland entzieht. Schon 2002 hat die Bundesregierung sich das Ziel gesetzt, den Verbrauch auf 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen. Tatsächlich gehen noch immer jeden Tag mehr als elf Hektar verlustig: eines der größten politischen Versagen in diesem Land.
Doch an einer neuen Bodenschutzstrategie ist die türkisgrüne Bundesregierung erst vor drei Wochen gescheitert. Würde sich die ÖVP gegen die Bodenverschwendung so ins Zeug hauen wie gegen die Renaturierung, dann würde sie den Landwirten und der Ernährungssicherheit wirklich helfen.
Gerlinde Pölsler
Jeder Euro wirkt - Green Banking made in OÖ
Seit 2012 ist Gunskirchen das Zentrum Österreichs, wenn es um nachhaltige Geldanlagen und Green Banking geht: Das Umweltcenter der Raiffeisenbank Gunskirchen ist als grüne Bank auf ökologische Investments, nachhaltiges Sparen und grüne Girokonten spezialisiert. Rund 70 Mio. Euro wurden so in mehr als 175 Umweltprojekte investiert.
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Hitzewellen, Hochwasser und andere Naturkatastrophen treffen Alte und Kranke, Menschen mit Behinderung, Frauen und Kinder stärker als andere. Katharina Brunner, Emilia Garbsch und Katharina Kropshofer haben unter anderem mit Menschen gesprochen, die vor einem Jahr dabei waren, als im Kärntner Treffen am Ossiacher See der Bach über das Ufer trat und Muren die Häuser teils bis zum 1. Stock verschütteten.
Wer bei Naturkatastrophen für den Schutz von Menschen mit Behinderung zuständig ist, darüber sehen Sie in dieser Doku von andererseits, wo Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten.
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In seinem „Tiergarten” schreibt Peter Iwaniewicz diesmal über eine Krebsart, die nur im Donautal bei Wien vorkommt, maximal zwei Millimeter groß wird und den Namen „Kovalevskiella elisabethae” verpasst bekommen hat.
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