Ziel aufgegeben, Stimmung locker! Die Bundesregierung "informiert" über Corona.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 262
Manchmal ist es ein Segen, warten zu können. Gerade hatte ich beschlossen, mir die versäumten Auftritte der Virologensimulanten, im Volksmund virologisches Quartett genannt, nachträglich anzusehen, was ich als internetfitter Senior auch ohne Frau Schramböcks freundlich angebotene Hilfe mühelos bewerkstelligen kann. Da meldete sich Virologe Robert Zangerle, der diese Kolumne regelmäßig mit seinen Beiträgen schmückt mit der Frage, ob er zu den bei diesem Auftritt verlautbarten Zahlen etwas beitragen könne. Nur zu gerne, sagte ich. Es ist süß und ehrenvoll, seinen Zorn zu bezähmen und Sachargumente walten zu lassen.Ich hatte zwar beobachtet, dass an des Kanzlers wohlüberformtem Haupt sich hintaus ein Stränglein des prachtvollen Haares keck dem Grooming entwandte und entengleich herausragte. Ja, ich kann mit solchen Beobachtungen eine Kolumne füllen, aber wohin bringt uns das in staatsbürgerlicher Hinsicht?
Ich könnte auch empört mit fettem Schlegel auf die N-trommel der Wut hauen, weil der Entengeschwänzte eine Ablenkungsbombe der unfeinen Art warf und insinuierte, das Virus sei eh nur von balkanesischen Ausländern eingeschleppt worden. Und weil er versuchte, bei Armin Wolf und sonstwo um die desaströse Performance seiner Regierung herumzuschwanern. Nein, sagte ich froh, lass Enten Enten und Schwäne Schwäne sein und lass lieber Zangerle sprechen.
Was dessen nüchterne Sprache und dessen fundiertes epidemiologisches Wissen uns über diese vielkanälig angekündigte Pressekonferenz sagen, ist erschütternd genug. Am Wort ist also Robert Zangerle. A.T.
»Die Österreichische Bundesregierung hat ganz offensichtlich das Ziel von weniger als 50 neuen Infektionen pro 100 000 (entsprechend 645 neuen Diagnosen täglich) aufgegeben. Damit gibt sie auch den Wintertourismus auf, weil Deutschland und die Beneluxländer das Erreichen eines solchen Ziels zur Streichung ihrer Reisewarnungen verlangen. Die fortgesetzte ununterbrochene Senkung der Fallzahlen bis zu diesem Ziel wäre aber vor allem notwendig gewesen, um den kommenden Winter mit weniger Leid bewältigen zu können. So rechnet Bundeskanzler Sebastian Kurz damit, „dass über Weihnachten, Silvester und den Jahreswechsel diese Ansteckungszahlen wieder zunehmen werden.“ Und damit, dass es dann darauf ankäme, in den kommenden Monaten „dass dieses Wachstum so langsam wie möglich stattfindet, und wir somit einen weiteren Lockdown verzögern, im Idealfall sogar verhindern können“.
Vor zwei Tagen schrieb ich noch, dass die massiven Warnungen der WHO und des European Centre for Disease Prevention and Control ECDC bezüglich des stark erhöhten Übertragungsrisikos durch gehäufte und intensive Kontakten zu Weihnachten und Silvester/Neujahr fast als Drohung einer Amtshaftungsklage missverstanden werden könnten. Bundeskanzler Kurz nimmt das einfach so hin. Er geht sogar einen Schritt weiter und spendet als Freude zum Fest die Inbetriebnahme der Aufstiegshilfen, während Italien genau in dieser epidemiologischen riskanten Zeit die Maßnahmen verschärft.
Der Rückgang der 7-Tagesinzidenz wird von „rund 600“, dem höchsten Wert im November, auf 250 zu Ende des Lockdown sinken, so Bundeskanzler Kurz. Am 13. November war der höchste Wert mit 549,4 erreicht, da wäre mir zwar nicht 600 eingefallen, aber so klingt es stärker. Aktuell geht Kurz davon aus, „dass wir von 3500 Neuinfektionen im Schnitt, die wir wahrscheinlich ungefähr am 6. Dezember erreichen werden“ (In der ZiB 2 nannte er 3000 oder knapp darüber, meine Schätzung 3200). Wieso schon wieder kein klares Ziel definieren? Mit dem jetzigen Tempo käme es nach meiner Schätzung in 14 Tagen zu einer weiteren Halbierung (Reff 0,8), also zu also zu 1500 (1600) Fällen. Von dieser hohen Zahl ausgehend, soll das Infektionsgeschehen, wie oben beschrieben, wieder ansteigen? Wenn auch noch so langsam? Ich kann und will das nicht akzeptieren.
Im Prinzip waren aber die wenigen von Bundeskanzler Kurz genannten Zahlen solider als jene von Minister Rudolf Anschober, der mit unnützen Tageszahlen (statt sie über 7 Tage zu glätten) um sich schmiss (1. September 204 statt 290, 1. Oktober 873 statt 759 und 1. November 4956 statt 4598, und, und, und). So verbessert man nicht das Verständnis, speziell die ohnehin schon schlechte „health literacy“ (diese werden wir aber für die Impfung dringlich brauchen). Den Vogel schoss er aber gleich zweifach ab: einerseits mit den 2000 neuen Fällen, die seine Modellierer für den 9. Dezember prognostizierten. Es ist schlicht unmöglich, dass innerhalb von 3 Tagen die neuen Fälle von 3500 auf 2000 absinken, das wäre eine Halbierung („Halbwertszeit“) innerhalb von 7 (10) Tagen, einem Reproduktionsfaktor unter 0,6 (0,7) entsprechend, weit von der Realität entfernt. Diese Modellierer haben doch schon Mitte November mit der rosaroten Brille simuliert, während diese Kolumne es recht ordentlich traf.
Andererseits geht das Swiss Data Science Center für den 30.11. für Österreich von einem Wert Reff von 0,84 aus, die AGES ebenfalls, die AGES von 0,84 und Minister Rudolf Anschober schwadroniert „jetzt bei 0,87, das heißt, auch da sollten wir damit gesichert haben, dass es eine nachhaltigere Absicherung gibt“. Mit diesem Reproduktionsfaktor wäre die „2000“ frühestens, ohne die von der Regierung angenommene„ Steigerung durch Weihnachten einzukalkulieren, zum Jahreswechsel zu erreichen. Vertrauen gewinnt man anders.

Quelle: Christian Althaus
Eigenartig, dass unsere Regierung gleichzeitig mehrere miteinander inkompatible Zahlen verkündet, was darauf schließen lässt, dass sie ganz offensichtlich von unterschiedlichen Beratern unterstützt wird. Ich neige dazu, mich dem Parlament anzuschließen und ebenfalls zu beten.« R. Z.
Anm.: Der Text wurde um 8:11 leicht aktualisiert
Weiterhin: keep distance, wash hands, wear masks, stay human!
Ihr Armin Thurnher