Seuchenkolumne Saharaschnee mit Oligarchen. Elegie auf mich selbst

Saharaschnee mit Oligarchen. Elegie auf mich selbst

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 681

Armin Thurnher
am 19.03.2022
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Mut ist es, was wir nun brauchen. Mut, ich fass dich, fass aber

du mich, wenn du nur kannst. Ich kann es selbst kaum. Denn schreibe ich

über die Toten, glaubt den Hexameter ihr oder nehmt ihn in

Kauf. Elegien sind es, Nänien wäre genauer, und

nur die Hast des täglichen Schreibens lässt mich verzichten auf

Distichen, die sich gehörten. Hexameter also, und warum

nicht einmal Klage über mich selbst, der mutlos und ohne

Wetterglück gefangen hier in den Alpen, im Frühling der

Schnee nicht zu fahren, knallhart in der Frühe und sulzig kaum später, den

Carvern zum Fraß. Die Sicht durch Saharastaub ist so diesig,

dass man die Wellen nicht sieht, die entscheidenden. Mäßige

dich, ruf ich mahnend mir selbst zu, hast du das nötig im Alter, die

Fresse dir zu polieren im Schnee? Denk an die teuren

Implantate, den Mundschutz sie zu schonen hast du schon

wieder vergessen. Fahr wie ein Skilehrer, gib eine Ruhe,

höre doch auf, dir selbst einzureden den Schwerpunkt über den

Ski zu legen, den Druck auf den Außenschi und die gesetzte

Kante. Bist du denn Thomas Sykora? Halt also an dich und

such nicht zu überschreiten das Limit des Alters, Alter.

Gut, ich sah’s ein, aber doch fand ich’s ungerecht, von fünf Tagen gleich

drei zu verlieren wegen der Sicht; und wie zum Hohn klart es

auf gegen Abend, wenn der Schnee komplett zu vergessen ist.

Heute der Schlusstag, da wird das reichlich am Samstag erscheinende

Volk das Vergnügen mir sicher vermiesen. Gewiss also ist mir mein

Mitleid. Und denk an die Welt ich, wird es nicht besser. Früher der

Tag begann mit Raketenbeschuss, und heute schießt’s aus den

Medien jegliche Stund, und ist es auch eine Show, so

fließt doch am anderen Ende das Blut, werden Menschen vertrieben,

sterben Kinder und Alte, weil der fatale Reichstraum

eines Diktators es will. Und während allein am Lift ich

stiere hinunter in den Schnee der Sahara, blicke ich

auf das Rätsel, das Unlösbare, wie man die Rachsucht

dämmt zugunsten kühler Vernunft, und wie man beide

Seiten betrachtet. Nicht um relativierend die Schuld zu

teilen, aber zu fragen: Was können wir tun? Recht lang ist die

Liste der Firmen, die immer noch kooperieren mit Putin. Und

still fließen Öl und Gas; die Industrie, sie braucht’s, und

warm brauchts der Mensch, dass er still hält; aber das Gas und das Öl, sie

finanzieren die Kriegsmaschine Putins. Was immer wir

tun, es wird teuer, und Krise legt sich auf Krise und auf der

Menschen Gemüt. Der erste Impuls ist zu helfen, es helfen die

Kleinen wie immer, doch frage ich auch, sind sie bereit, zu

leiden über längere Zeiten? Und was die Vermögenden

tun, die über Gebühr profitieren, um die Sanktionen

effizient zu machen, steht in den Sternen. Ich leide

gerne, zahle für teures Heizen, verzichte, aber der

Oligarch, der muss ebenso zahlen wie ich, mindestens.

Wird sie es schaffen, die Politik, der Oligarchen

Hure? Wird sie es schaffen, Vermögen endlich kenntlich zu

machen, und zu zerschlagen die Steueroasen, die Unter-

schlüpfe, die Hintertüren, die gelten für Siloviki

gleich wie für die Oligarchen des Westens; und diese verhindern, dass

jene dingfest gemacht werden können. So dachte ich, starrend

blind in den rostigen Schnee, denn das Übel der schlechten Regierung

schafft nur die gute je aus der Welt. Gewiss, das Fortwursteln,

menschlicher ist es, sogar für Appeasement ließe das eine, das

andre sich sagen. Aber will man dem Bösen den Boden

abgraben, heißt’s, zu kappen das Öl, zu konfiszieren

böses Vermögen und zu besteuern Krisengewinne von

Spekulanten, etwa mit dem gestiegenen Preis von

Öl und anderem. Wird es geschehen? Wird der Treiber des

Kriegs, der Mörder von Kindern und Zivilisten, erreichen die

Ziele und straflos genießen die Frucht seiner Frechheit und

seiner Tyrannei im Kreise der Sykophanten?

Rostig schweigt unter mir der Schnee der Sahara und weist mich drauf

hin, dass von dort, auch von dort wohl kein Heil zu erwarten. Der hybride

Krieg, sind wir ihm gewachsen? An Hybris fehlt uns nicht, doch

fehlt es an allem, am Mut, nicht Blut zu vergießen, aber doch zu

tun was getan werden muss. Mit Sonnenschein ist zu rechnen, mit

Mittelmeerhoch, mit Raketenbeschuss und Kompromissen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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