Saharaschnee mit Oligarchen. Elegie auf mich selbst
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 681

Mut ist es, was wir nun brauchen. Mut, ich fass dich, fass aber
du mich, wenn du nur kannst. Ich kann es selbst kaum. Denn schreibe ich
über die Toten, glaubt den Hexameter ihr oder nehmt ihn in
Kauf. Elegien sind es, Nänien wäre genauer, und
nur die Hast des täglichen Schreibens lässt mich verzichten auf
Distichen, die sich gehörten. Hexameter also, und warum
nicht einmal Klage über mich selbst, der mutlos und ohne
Wetterglück gefangen hier in den Alpen, im Frühling der
Schnee nicht zu fahren, knallhart in der Frühe und sulzig kaum später, den
Carvern zum Fraß. Die Sicht durch Saharastaub ist so diesig,
dass man die Wellen nicht sieht, die entscheidenden. Mäßige
dich, ruf ich mahnend mir selbst zu, hast du das nötig im Alter, die
Fresse dir zu polieren im Schnee? Denk an die teuren
Implantate, den Mundschutz sie zu schonen hast du schon
wieder vergessen. Fahr wie ein Skilehrer, gib eine Ruhe,
höre doch auf, dir selbst einzureden den Schwerpunkt über den
Ski zu legen, den Druck auf den Außenschi und die gesetzte
Kante. Bist du denn Thomas Sykora? Halt also an dich und
such nicht zu überschreiten das Limit des Alters, Alter.
Gut, ich sah’s ein, aber doch fand ich’s ungerecht, von fünf Tagen gleich
drei zu verlieren wegen der Sicht; und wie zum Hohn klart es
auf gegen Abend, wenn der Schnee komplett zu vergessen ist.
Heute der Schlusstag, da wird das reichlich am Samstag erscheinende
Volk das Vergnügen mir sicher vermiesen. Gewiss also ist mir mein
Mitleid. Und denk an die Welt ich, wird es nicht besser. Früher der
Tag begann mit Raketenbeschuss, und heute schießt’s aus den
Medien jegliche Stund, und ist es auch eine Show, so
fließt doch am anderen Ende das Blut, werden Menschen vertrieben,
sterben Kinder und Alte, weil der fatale Reichstraum
eines Diktators es will. Und während allein am Lift ich
stiere hinunter in den Schnee der Sahara, blicke ich
auf das Rätsel, das Unlösbare, wie man die Rachsucht
dämmt zugunsten kühler Vernunft, und wie man beide
Seiten betrachtet. Nicht um relativierend die Schuld zu
teilen, aber zu fragen: Was können wir tun? Recht lang ist die
Liste der Firmen, die immer noch kooperieren mit Putin. Und
still fließen Öl und Gas; die Industrie, sie braucht’s, und
warm brauchts der Mensch, dass er still hält; aber das Gas und das Öl, sie
finanzieren die Kriegsmaschine Putins. Was immer wir
tun, es wird teuer, und Krise legt sich auf Krise und auf der
Menschen Gemüt. Der erste Impuls ist zu helfen, es helfen die
Kleinen wie immer, doch frage ich auch, sind sie bereit, zu
leiden über längere Zeiten? Und was die Vermögenden
tun, die über Gebühr profitieren, um die Sanktionen
effizient zu machen, steht in den Sternen. Ich leide
gerne, zahle für teures Heizen, verzichte, aber der
Oligarch, der muss ebenso zahlen wie ich, mindestens.
Wird sie es schaffen, die Politik, der Oligarchen
Hure? Wird sie es schaffen, Vermögen endlich kenntlich zu
machen, und zu zerschlagen die Steueroasen, die Unter-
schlüpfe, die Hintertüren, die gelten für Siloviki
gleich wie für die Oligarchen des Westens; und diese verhindern, dass
jene dingfest gemacht werden können. So dachte ich, starrend
blind in den rostigen Schnee, denn das Übel der schlechten Regierung
schafft nur die gute je aus der Welt. Gewiss, das Fortwursteln,
menschlicher ist es, sogar für Appeasement ließe das eine, das
andre sich sagen. Aber will man dem Bösen den Boden
abgraben, heißt’s, zu kappen das Öl, zu konfiszieren
böses Vermögen und zu besteuern Krisengewinne von
Spekulanten, etwa mit dem gestiegenen Preis von
Öl und anderem. Wird es geschehen? Wird der Treiber des
Kriegs, der Mörder von Kindern und Zivilisten, erreichen die
Ziele und straflos genießen die Frucht seiner Frechheit und
seiner Tyrannei im Kreise der Sykophanten?
Rostig schweigt unter mir der Schnee der Sahara und weist mich drauf
hin, dass von dort, auch von dort wohl kein Heil zu erwarten. Der hybride
Krieg, sind wir ihm gewachsen? An Hybris fehlt uns nicht, doch
fehlt es an allem, am Mut, nicht Blut zu vergießen, aber doch zu
tun was getan werden muss. Mit Sonnenschein ist zu rechnen, mit
Mittelmeerhoch, mit Raketenbeschuss und Kompromissen.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher