Seuchenkolumne Mein Winnetou. – Teil 1 einer kleinen Karl-May-Trilogie

Mein Winnetou. – Teil 1 einer kleinen Karl-May-Trilogie

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 815

Armin Thurnher
am 25.08.2022
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Mit Karl May kann man sich derzeit gut verkühlen. Kann sein, dass der Kollege, der mich bat, doch etwas über diesen Schriftsteller zu sagen, mir eine rote Nase ins Gesicht oder ein Kratzen in den Hals wünschte. Ich bin ein verkühltes oder gebranntes Kind, je nachdem.

Zu meinen schönsten intellektuellen Schnupfen-Erfahrungen gehört jener Shitstorm, der mich überbräunte, als ich einmal schrieb, es sei erstaunlich, dass Österreichs machistischster Kolumnist aussehe wie eine alte Indianersquaw (ich meinte nicht mich selbst). Den Begriff der Indianersquaw kannte ich selbstverständlich aus meiner Karl-May-Lektüre.

Statt dass sich das Volk höhnend an meine Seite gestellt und sich mit mir über die merkwürdige Diskrepanz des von mir als Faschisten geschmähten Kolumnisten lustig gemacht hätte, fiel es über mich her und zieh mich der Schmähung indigener Völker, des weiblichen Geschlechts und des Alters. Dieser dreifache Griff ins Braune war beeindruckend, hat mich aber nicht gebessert, da es sich nur um einen verschwindend kleinen Teil jenes rätselhaften Konglomerats handelt, das man abkürzenderweise „das Volk“ nennt. Da waren die ÖVP-Frauen noch gar nicht dabei, die entdeckten mich erst später.

Der Autor Karl May hat derzeit wieder mittelbare Probleme, weil ein Film über den jungen Winnetou und ein Begleitbuch des deutschen Ravensburger Verlags diverse Codes jener Neuen Empfindsamkeit aufrufen, die dann völlig unempfindlich zuschlägt. Aus Angst zog der Verlag sogleich sein Buch zurück, der Film wird aus den Kinos verschwinden.


Wer ist Winnetou? Winnetou ist als Häuptling des Volkes der Apachen der Inbegriff dessen, was die Aufklärung mehr als hundert Jahre vor Karl May einen „edlen Wilden“ nannte, ein Exemplar einer fremden Zivilisation, das der eigenen verkommenen durch seinen Edelmut, durch seine Sittlichkeit, seine Bildung, seine Körperkraft, seine Schönheit und alle anderen prima Charaktereigenschaft den Spiegel vorhielt und damit den weißen Suprematismus der Eurozentristen in Frage stellte.

Ziemlich revolutionär damals, heute aber kritisiert als kulturelle Aneignung und in der Darstellung durch Weiße auch noch als Redfacing. Die Makeup-Industrie zittert, die Theater als Institute falschen Scheins sperren zu, alles Fiktive muss auf den Scheiterhaufen, weil es doch immer etwas Unwahres vorstellt. Weg mit der Illusionsindustrie, der Kunst und all dem literarisch-phantastischen Krempel! Die Musik ist sowieso von Grund auf verdächtig, wer weiß schon genau, was die sagt?

Nun sind die Revolutionäre von gestern oft die Reaktionäre von heute, was weder die einen noch die anderen jemals recht bedenken, solange sie es sind, sonst könnten sie es ja nicht so gut sein. (Ein vernünftiger Text über „appropriation“ findet sich übrigens hier).


Der Schriftsteller Karl May war eine merkwürdige Figur. Seine Bücher hatten auf mich und meine Freunde in der Schulzeit eine suchtbildende Wirkung. Wir durften sie erst lesen, als wir zehn Jahre alt waren. Die weitgehend frauenfreie Welt der Westmänner und Indianer, der treuen und tückischen Wüstenbewohner, der weiten Prärien und der edlen Reittiere, der Faustkämpfer und unfehlbaren Schützen, der Bösewichter, die am Ende immer verlieren, der Guten, die immer gewinnen, diese Welt war so offenbar phantastisch und zugleich so spannend, dass wir uns fieberhaft durch diese Bände lasen, wie spätere Kinder vielleicht durch Harry Potter oder durch Tolkien.

Mit meinem Jugendfreund Karl hatte ich einen Lesewettbewerb. Wir fraßen uns synchron durch die mehr als 60 Bände der Karl-May-Abenteuer, die wir uns in der Pfarrbibliothek der Bregenzer Mariahilf-Kirche ausborgten. Sonntags nach der Messe hatte die Leihbibliothek geöffnet, um einen Schilling Leihgebühr pro Buch konnte man die in braunes Packpapier eingeschlagenen Bände ausleihen; einer reichte nicht für die Woche, es mussten schon zwei oder drei sein. Mehr erhielt man keinesfalls. Winnetou I-III war in jeweils mehreren Exemplaren da, aber wenn man eine gewünschte Fortsetzung nicht bekam, war die Enttäuschung groß. Eine Woche Warten!

Karl May als Old Shatterhand, 1896 Foto: Wikipedia

Man begann mit den Wüstenabenteuern und den Verfolgungsjagden durch den Balkan und arbeitet sich dann zur Winnetou-Trilogie vor. Wie heiß wünschte man, dem edlen Apachen zu begegnen und seinem Freund Scharlieh aka Old Shatterhand, jener unfehlbar mit dem Jagdhieb gegen den Gegner in die Ohnmacht schickenden, aber nicht tötenden Personifikation das Autors!

Die Pfarrbibliothek hatte nicht die Originalexemplare des Fehsenfeld-Verlags, sie bot komprimierte Versionen an, gekürzte Volksausgaben ohne ermüdende Landschaftsbeschreibungen und geografische Umstandsmeierei. Direkt zur Spannung, zum Faustkampf, ans Lagerfeuer, zum Anschleichen, an den Marterpfahl, von dem das Opfer in letzter Sekunde befreit wurde. Ich danke Gott noch heute, dass es damals keine Filme gab. Sie waren trotz Pierre Brice eine herbe Enttäuschung. Die Phantasie war nicht zu übertreffen.

Was das alles weltanschaulich zu bedeuten hatte, darüber stritten und streiten sich Generationen von Schriftstellern und eine Schriftstellerin, Berta von Suttner. Märchen sind es gewiss keine. Von ihr, der späteren Friedensnobelpreisträgerin, klaute Karl May den Begriff des „Edelmenschen“, den er 1912 in einem Vortrag in Wien vor 2-3000 Menschen verwendete: „Empor ins Reich der Edelmenschen!“

Sie war ihm nicht böse. In ihrem Nachruf im Wiener Tagblatt „Die Zeit“ schrieb sie: „In dieser Seele lodert das Feuer der Güte“.


Morgen folgt Teil II: Ein gutes Porträt von Karl May;

übermorgen Teil III: Karl Marx und Karl May.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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