Elegie auf Peter Weibel
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 957

Aus Falter 14-15/1980
Weibel! Peter! Immer in Eile, immer gedrängt, doch
niemals schlechter Laune, nach außen zumindest, der listige
Blick von unten erfasste den Partner beim Reden, erfasste die
Lücken, die Schwächen, die Stärken wohl auch, Agenda immer
vorwärts, Fortschritt und Avantgarde, Bewegung nach vorne,
Innehalten nicht möglich, Atmen Zeitverschwendung,
Hecheln egal, bloß mitnehmen alles am Weg, keine Pause, denn
Zeit ist Zeit und sie läuft, du Läufer der Läufte, Beweger der
Bilder, du Bilderfluter, am Rücken den Bildschirm, Bewegtbild im
Rucksack, Mikro am Hals und Termine im Nacken, Moral nicht im
Plan, die ist für Verlierer, Sieg in Moral wegen Schwäche in
Macht, das war nichts für dich, aber Macht, die brauchtest du schon, um zu
machen, Projekte, Bilder, Texte, Gedanken, Konzepte und
Shows, um das zu realisieren, was aus der Flut du als
erster erkannt, wenn oft flüchtig, so doch im Flug, im Über-
Flug, ja so will ich dich nennen, Überflugmeister, Anstifter,
Fädenzieher, Raketenstarter, digitaler
Zauberer, aber kein fauler, überfleißiger vielmehr,
Pausenbekämpfer, Spruchfabrikant und laufendes Sprechband.
Weiß noch genau, wie du saßest mit Valie Export im Sechsten,
im Galeriebeisl, eh klar. Ich verkaufte euch einen Falter,
und weil ich schon da war, fragte ich gleich um ein Interview.
Sicher nicht, sagte Valie entschlossen, du aber, freundlich
witternd Gegengeläuf und kritische Publizistik,
warst gleich interessiert und rangest mit Schmeichelworten
Zustimmung endlich ihr ab. Und warst bei den ersten, die dieses
Bühnchen gleich nutzten, für scharfe Kritik an der Kunstpolitik, so
lang, dass es Fortsetzung brauchte, ja und irgendwie waren wir
hip, und du mit Hotel Morphila ein Popstar in Waiting. „Die
Straße ist nass“ und was dergleichen Lyrics zukünftiger
Hits noch waren – wir druckten sie ab, seitenweise. An Covers
fehlte es nicht, an Gesprächen, Verrissen, Konflikten, Zwisten
auch nicht – das alles gab es im Überfluss. Popstar wurdest du
keiner, am Falter lag’s nicht. Dein Tempo, sich überstürzend,
hatte dich längst schon sonstwohin geführt, aber zugleich
warst du immer an allen Orten zuerst und zugleich, oder
fast halt, wie ich erfuhr, als du auftratst mit Band beim Falter-
Opening Graz Achtzigdrei, und ich vor der Halle mit tausend
Fans, in den Händen dein Telegramm aus Hamburg: „Untröstlich,
Peter!“ So zahlte auch ich den Preis deiner Omnipräsenz, aber
Toten ist man darob nicht mehr gram. Ich hebe die Hand, lass sie
brennen wie eine Fackel, wie deine im Hörsaal Eins, was
Kunst war, Protest, aber zugleich endete mit einer Brandwunde.
Ungeschick, Hoppala, Sich-Überstolpern gehörte eben zu
deiner Erscheinung, die immer und überall war und überall
immer vorne dabei; man muss sich da selbst überholen.
Böse war dir am Ende kaum jemand, denn du hattest noch eins, den
Schmäh, in deinem Fall kosmisch gewendet: wir sind nur ein Funke im
Kosmos, ein Hund an der Leine, ein Turmbau zu Babel, Museum aus
Bits oder Bites, Manuskript einer Rede, geschrieben auf der Stufe zur
Bühne. Ja, Bühne war’s immer, und Bildschirm, Maschine, bedient von wem
andern. Das Leben ist eine Versammlung von Menschen, und manche
sammeln, versammeln mehr als die meisten. Unter den Sammlern
warst du der Größte, Weibel, Allesraffer, Zeitraffer,
nicht zu besitzen, nur um vorne zu schwimmen im Meer der
Artefakte, um dich Debris der alles raffenden
Zeit. Nun hat sie dich selbst gerafft, Weibel-Peda. Adieu, sag ich.
Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.
Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!): Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher