Elegie auf den nationalen Anredner Karl Nehammer
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 962

Nehammer über dem Wienerberg Screenshot © ORF
Niederösterreichs Sohn, du ruhmvoller, Bundeskanzler Karl
Nehammer, dir sollt beginnen das Wort, dir endigen, draußen am
Wienerberg, hoch dort im Loft sollt’st du reden, dass aller Wohl du
förderst, vor allem aber das deine, als Staatsmann mit Stil, den man
wähle, wenn die Zeit dir denn reift. Also rieten es dir die
Rater, verschlagen der Fleischmann, listig der Diekmann, gewaschen mit
allen Wässerchen. Massen massieren, das ist ihr Geschick, aber
als sie dich schickten ins Loft und dir schrieben die Rede oder auch
nicht – denn sie floss von den Lippen, als müssest im Augenblick du sie erst
fassen – ging das nicht recht gut, denn du rangest mit dem Wort, mit dem
Schlüpfrigen, immer entglitt es dir wieder und immer flohst du zur
Phrase. Alles, dachtest du wohl, das pack ich hinein und es
wird mich aussehen lassen wie einen, der alles erwägt für das
Volk. Aber wie du so sprachst und betrachtest die Menge der übel-
wollenden Pfründner, den tückisch grinsenden Sobotka vorne-
weg, da wollte dir scheinen, als hätts’t überfordert du deine
Kräfte. Besonderes wolltest du leisten, in besonderer Zeit,
zugehen auch aufeinander, Herausforderungen benennen,
Umtriebe umtreiben, kommen ins Tun, Unmögliches möglich
machen, einordnen, orientieren, doch wie du so sprachst, da
merkst du, die Schlingel haben verlockt dich auf schlüpfrigen Grund, da
steckst du im Phrasensumpf und je stärker du strampfst, desto tiefer du
sinkst. Auf die Uhr zu sehen ist keine Option, aber wie, fragst du
dich im Moment, als du sagtest, wir müssten aufeinander
zugehen, wie soll das ausgehen, noch sind eineinhalb Stunden,
Stunden, die nie vergehen. Staatsmann und Stil, Fleischmann und
Diekmann, wenigstens eine Idee, eine klitzekleine, ein
Echtwort, kein Phraserl, etwas, von dem du spürst, dass es
wirkt und dass es ergreift und dass es zugeht auf die
Menschen da vor dir wenigstens, diese grinsenden Pfründner, du
kannst das Gesicht nicht mehr sehen, Plastikblumen für zwölftausend
Euro, ja spinnt der, und hier steht: wir sind eine Autonation. Was
Soll denn das heißen? „Autós“ heißt selbst, soll es heißen wir
sind von selbst Nation? Gut, die wollten die Klebrigen ärgern,
weißt schon, aber muss denn das alles so dumpf sein? Esprit, der
fehlt dir bekanntlich, aber Diekfleisch, die kriegen dafür doch
fette Honorare. Den Kurz zu befrieden, die Aufsage-
puppe, hast du den Fleischmann behalten, auf dass er dich ausstatt’ mit
sanft einnehmenden Worten. Aber jetzt stehst du da, einnimmst niemand.
„Óutis“ heißt Niemand bei Homer, und dass dich das Diekfleisch
jetzt so verarscht, das bleibt nicht ohne Folgen, so denkest du jetzt und
redest und redest und redest. Und wie du dir zuhörst merkst du, du
red’st dich um alles, zeigst durch dein Reden, dass du es nicht bist, der
Staatsmann, der große, mit Weitblick, dem klaren, und Stil, der bezaubert.
Dir ziemt’s vor allen, zu reden ein Wort, und zu hören,
was es wohl trägt auf dem Herzen, das Volk, dem die Botschaft du bringst,
dass du ihm redest zum Heil; denn es entscheidet, was sein soll.
Du aber spürst wohl, dass dir von alledem gar nichts gelungen.–
„So etwas, sag ich euch, mache ich nimmer“, dachte der reisige
Nehammer; hatte jedoch erst ein paar Minuten gesprochen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.
Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):
Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher