Ein Bief an Frau Mikl-Leitner. Zum niederösterreichischen Wesen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 967

Armin Thurnher
am 17.03.2023
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Screenshot: ORF

Ich kann es heute kurz machen. (Sie wissen, dass ich das nicht kann).

In Niederösterreich habe ich das eine oder andere Merkwürdige erlebt. Als ich schon jahrelang hier wohnte und mancherlei für die Kulturszene getan hatte, schrieb die führende Tageszeitung, die nur eine Wochenzeitung ist, über mich, ich würde mit den Zähnen knirschen, wenn ich das Wort Niederösterreich nur hörte.

Irgendwann später, ich war noch Falter Chefredakteur und leiste mir die Faulheit, nicht nachzusehen, wann genau, kam die Kulturredaktion auf die Idee, eine Geschichte über die niederösterreichische Kulturpolitik zu machen. Sie schien erstaunlich progressiv, aber auch solide, und setzte darauf, dass Kultur bei der Modernisierung des Landes eine wichtige – und nebenbei bemerkt günstige – Rolle spielen sollte. Der Mann, der dies ausgedacht hatte, war Erwin Pröll, der vielleicht, wenn er den Namen Falter hört, mit den Zähnen knirscht, vielleicht aber auch nicht. Die Geschichte im Falter äußerte sich jedenfalls positiv über die niederösterreichische Kulturpolitik.

Pröll lud mich dann zu einer Grafenegg-Eröffnung ein, ich traf dort verschiedene Künstler, alle sagten mir, auf meine Frage, warum sie hier seien: der Pröll hält Wort. Er hatte viele Künstler engagiert und finanziell unterstützt. Die Falter-Geschichte aber gab ihm zu denken. So modern sein Verhältnis als gleichsam aufgeklärter Monarch zu Kunst auch war, sein Verhältnis zu den Medien blieb, sagen wir eher traditionell, was sich am Ende dann im Interview mit Armin Wolf zeigte. Das traditionelle Verhältnis der Politik zu den Medien ist ein Herrscher-Diener-Verhältnis, alles andere, etwa eigenständiges Verhalten, verblüfft unter solchen Umständen. Pröll verstand nicht, dass wir einfach das Ergebnis, zu dem unsere Recherche gekommen war so veröffentlichten, und dass da niemand dahintersteckte, keine Absicht, keine angebahnte kleine Schiebung, kein angewärmtes „Gegeng’schäft“.

Überraschenderweise wurde ich sogar als Redner beim Europaforum Göttweig eingeladen, wo Pröll sich als Staatsmann inszenierte (etwas mehr dazu in meinem neuen Buch). Auch die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wollte mich kennenlernen, verblüfft über den neuen Freund Niederösterreichs, und gewährte mir einen Einzeltermin. Das alles war sehr lustig und auch freundlich.


Nun aber ist es mit der Freundlichkeit vorbei, es ist Feuer am Dach. Die ÖVP plant eine Koalition mit der FPÖ, die in ihrer besonderen niederösterreichischen Ausformung von mir als faschistisch, von Oskar Deutsch, dem Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde als „politischer Arm der deutschnationalen Burschenschaften“ bezeichnet wird, was vielleicht noch schlimmer ist. In Niederösterreich tätige Kulturschaffende wenden sich nun mit einem offenen Brief an Frau Mikl Leitner, den ich hiermit aus Solidarität mit ihrem Anliegen wiedergebe:

An Landeshauptfrau

Johanna Mikl Leitner

Niederösterreichische Landesregierung

3109 St. Pölten

Betrifft: Künstler/innen aus und in NÖ – Keine Regierung mit den Freiheitlichen in Niederösterreich

Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner!

Niederösterreich hat aufgrund seiner Lage und seiner 414 km langen Grenzen immer eine besondere Rolle in Österreich und Mitteleuropa gespielt.

Die besten Zeiten des Landes waren immer, wenn die Öffnung über die Grenzen hinweg funktionierte, wenn Austausch, Vielfalt, Mehrsprachigkeit, Internationalität selbstverständlich waren, wenn Kultur und Weltoffenheit einen Raum für Innovation ermöglichten.

Die schlimmsten Phasen Niederösterreichs gab es bei geschlossenen Grenzen, bei Verengung des Horizonts, bei Reduktion auf einen eingeschränkten deutschen Heimatbegriff und bei der Ausschließung von Menschengruppen. Diese Zeiten waren von wirtschaftlichem Abschwung begleitet und verbunden mit Angst, Kulturlosigkeit, Unfreiheit bis hin zu Verfolgung und Krieg.

Die Beseitigung der kommunistischen Diktaturen in unseren Nachbarländern Ungarn und der Tschechoslowakei schuf 1989 für Niederösterreich eine völlig neue Situation, von der es außerordentlich profitierte, ebenso wie vom EU-Beitritt Österreichs und jenem von Niederösterreichs Nachbarländern.

Die Zukunft Niederösterreichs liegt in einer internationalen Offenheit und im Bekenntnis zu einer modernen demokratischen Gesellschaft in einem gemeinsamen Europa.

Eine Koalition mit der nationalistischen fremdenfeindlichen Niederösterreichischen FPÖ stellt eine Abwendung von diesem notwendigen Zukunftsweg dar.

Liebe Frau Landeshauptfrau Mikl-Leitner!

Wir brauchen ein Niederösterreich, dem sich alle Menschen als zugehörig empfinden. Das „Miteinander“ darf hier nicht nur für Menschen mit Muttersprache „Niederösterreichisch“ gelten. Wer jungen Menschen mit Migrationshintergrund  ihre „Daseinsberechtigung“ abspricht,  antisemitisches Liedgut herumliegen hat, Asylwerber hinter Stacheldraht sperren will, Solidarität mit den EU-Sanktionen gegen Russland verweigert, Wissenschaftler verhöhnt und Verschwörungstheorien verbreitet, politische Mitbewerber beflegelt, darf in Niederösterreich keine politische Macht ausüben.

Im Sinne des von Ihnen vertretenen Miteinander der Menschen in diesem Bundesland bitten wir Sie inständig, von dieser folgenschweren Regierungskoalition mit der niederösterreichischen FPÖ Abstand zu nehmen und appellieren an Ihre christlichen Werte und Ihre europäische Überzeugung.

Robert Menasse

Gerhard Ruiss

Otto Lechner

Gertraud Klemm

Robert Schindel

Christa & Kurt Schwertsik

HK Gruber

Franka Lechner

Josef Hader

Anna-Maria Krassnigg

Charlotte Seidl

Peter Turrini

Florian Scheuba

Iris Andraschek

David Schalko

Robert Palfrader

Künstler/innen aus und in NÖ

15.3.2023

Nachtrag: Die Petition kann man hier unterschreiben!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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