Eine schwarze Krawatte für die Wiener Zeitung
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1020

© C&A
Heute ziehe ich meinen schwarzen Anzug an. Ich habe ihn mir mit dem Geld meines Vorhofer-Preises gekauft, und zwar bei Knize, halbfertig, weil ich dachte, so etwas sollte ich haben, und ich muss sagen, ich habe es nicht bereut. Den Vorhofer-Preis erhielt ich im Parlament, dem damals Andreas Khol vorsaß. Die Zeremonie hätte herzlicher sein können. Dankbar erinnere ich mich der Abwesenheit so gut wie sämtlicher heimischer Medienprominenz und des toten Echos meiner Rede, was aber durch den Besuch der großen Kollegen Michael Frank und Herbert Riehl-Heyse, Gott hab ihn selig, von der Süddeutschen Zeitung mehr als wettgemacht wurde.
Zum schwarzen Anzug nehme ich ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte, denn ich gehe zu einem Begräbnis erster Klasse. Seltene Kombination: Begräbnis mit Verhöhnung. Der Bundespräsident überreicht der Wiener Zeitung den Vorhofer-Preis, als hätte er nicht vor wenigen Tagen ihr Todesurteil unterschrieben, das Mediengesetz der schwürkis-grünen gottverlassenen Medienpolitikerinnen und ihrer bösen Einflüsterer. Sie haben so gut gelogen, dass selbst die Balken darauf verzichteten, sich zu biegen. Sie haben alle Versprechen gebrochen, Leute verlieren ihre Jobs, von digitaler Tageszeitung kann keine Rede sein, es ist eine monumentale Chuzpe und eine jämmerliche Schande.
Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich nicht berichten werde, warten wir es ab.
In den vergangenen Tagen hatte ich mehrfach Gelegenheit, meine medienpolitischen Gedanken öffentlich vorzutragen; einmal ließ ich mich dazu hinreißen, laut zu sinnieren, vielleicht sollte ich endlich ein Buch über Medien schreiben, und erhielt zu meiner Verblüffung Szenenapplaus.
So wie ich gebaut bin, schreckt mich das eher ab. Aber ich komme nicht umhin zu bemerken, dass der Satz, für den ich einst verhöhnt wurde, langsam zuzutreffen beginnt. Auf der Rückseite meines allerersten Buchs, der Medienglossensammlung „Schwarze Zwerge“ (Sonderzahl, 1992) stand ganz oben: „Medien in den Medien, wen interessiert das noch? Immer mehr Leute.“
Tatsächlich merken sensible Menschen, dass die Medienfrage das Zentrum der Demokratie berührt. Werden demokratische Medien abgeschafft, kann die Demokratie nicht überleben.
Ohne das hier weiter zu begründen (was leicht wäre), halte ich nur fest, dass die Erkenntnis dieses Problems zwar beim Publikum gewachsen ist, nicht jedoch bei den handelnden Politikerinnen.
Es geht, kurz gesagt, darum, dass das Vertrauen des Publikums in das Funktionieren der Öffentlichkeit nur dann besteht, wenn diese nach vertrauenswürdigen Verfahrenswei
sen operiert. Das heißt: wenn sie redaktionellen Journalismus betreibt, mit seinen ausgebildeten Prozessen der Recherche, des abwägenden Schutzes der Integrität der berichteten Personen, die autoritativen Kompetenz der Kommentierenden.
Dabei ist – ich stelle den MacLuhanisten in mir kurz ruhig – der Aggregatzustand des Produkts nicht von zentraler Bedeutung; das Schöne am Print-Produkt ist, dass es eine Version zeitlich feststellt, bei der alle sicher sein können, sich auf das gleiche zu beziehen. Das ist im digitalen Medium, wo alles fließt, bereits deutlich schwerer. Aber es geht nicht primär um die gedruckte Zeitung.
Es geht um die Verfahren des redaktionellen Journalismus. Kann man ihm nicht mehr vertrauen, kann man niemandem in der Öffentlichkeit vertrauen, denn er vermittelt ja alles andere dem Publikum. Deswegen heißen Medien ja Medien.
Die zuverlässigen Formen demokratischer Öffentlichkeit werden nun von einer digitalen Offensive attackiert. Ausgehend von der Doppelbewegung Neoliberalismus und neolibertäre Rechte hat die digitale Attacke das Ziel, die traditionelle Öffentlichkeit und damit die Demokratie sturmreif zu schießen und durch eine akklamative Gesellschaft zu ersetzen. Sie maskiert mit Weichbrot und Spielen einen schlanken Staat, der autoritär dafür sorgt, dass die (Tech-)Konzerne ihren Geschäften ungestört und unreguliert nachgehen können.
Öffentlich-rechtliche Medien und seriöse Zeitungen und Magazine werden deswegen von den neuen illiberalen Potentaten von Trump bis Orbán, von Johnson bis Kurz ebenso angegriffen wie die anderen Institutionen des demokratischen Staats: Justiz, Verwaltung etctera.
Die älteste Tageszeitung der Welt zu killen, heißt nicht mehr und nicht weniger als in diesem Konflikt mit einem Hammerschlag Stellung zu nehmen: für die illiberale Gesellschaft. Von den Schwürkisen war nichts Besseres zu erwarten. Aber für diesen Blick in den Abgrund haben wir die Grünen gebraucht?
Das, Herr Bundespräsident, lässt sich mit ein paar lässigen Scherzchen nicht mehr wegkichern. Mir ist es die schwarze Krawatte wert. Sie trugen eine solche einst, beim Empfang des Prinzen Charles, als „moderne Interpretation des Smoking“. Ich trage sie als Zeichen meines ohnmächtigen Protests.
Im Übrigen bin ich der Meinung, man muss die Wiener Zeitung vor der Regierung retten.
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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.
Ihr Armin Thurnher