Seuchenkolumne Wien, traurig und süß

Wien, traurig und süß

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1021

Armin Thurnher
am 26.05.2023
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Wiener-Zeitungs-Betriebsrat Gregor Kucera bei der Dankesrede, mit den Tränen kämpfend Foto: APA Hochmuth

So war ich denn gestern in der Hofburg bei der Verleihung des Vorhofer-Preises und des Hochner-Preises, dieser ging an die ORF-Journalistinnen Claudia Dannhauser und Gaby Konrad für ihre ausdauernde und uneingebettete Berichterstattung aus dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss. Den Vorhofer-Preis bekam die Wiener Zeitung, auch aus Protest gegen die nicht mehr gutzumachende Kulturschande ihrer Austilgung durch eine gottverlassene schwürkis-grüne Regierung, deren Abgeordnete naturgemäß abwesend waren.

Ich hatte mir wie angekündigt die schwarze Krawatte zum schwarzen Anzug umgebunden, was einer Dame die Bemerkung entlockte, ich sei aber gut angezogen, und dem Bundespräsidenten ein breites Lächeln abrang. Hatte er die gestrige Kolumne gelesen? Als wäre es so, stellte er klar, dass das Unterzeichnen eines Gesetzes durch ihn nur dessen verfassungsgemäßes Zustandekommen beurkundet. Ja, klar. Aber, wie der Gewerkschafter Eike-Clemens Kullmann ihm ins Gesicht sagte: „Ich habe eine Wortmeldung in diesen so bedrückenden Wochen und Monaten für den Qualitätsjournalismus und die Kulturnation Österreich schmerzlich vermisst: Ihre, sehr geehrter Herr Bundespräsident. Ein Gesetz, das verfassungskonform zustande gekommen ist, zu unterzeichnen, ist das eine. Das andere wäre zumindest der Versuch gewesen, den für diesen Vernichtungsirrsinn Verantwortlichen ins Gewissen zu reden, die Öffentlichkeit aufzurütteln.“


Van der Bellen selbst zeigte sich durchaus problembewusst. Umso mehr deprimierte mich die Veranstaltung, die mir vorkam wie ein riesiges Schulterzucken. Der Bundespräsident weiß, worum es geht. Die Demokratie braucht Zeitungen wie die Wiener Zeitung, sonst geht sie zugrunde. Das Modell demokratischer Zeitungen wird durch die Medienpolitik, durch die Begehrlichkeit der Verleger, durch die öffentliche Dummheit und durch die Bösartigkeit einzelner politisch tätiger Personen gefährdet.

Was wäre denn anders, wenn es die Wiener Zeitung nicht mehr gibt, werde ich gefragt, oder auch, warum ich mich so auf die kapriziere, die werde jetzt totgemacht und sei dann halt weg. Die Antwort konnte man auch bei dieser Veranstaltung haben: die Wiener Zeitung ist eine kleine, seriöse, unkorrupte, der Demokratie nützliche Zeitung, die nicht wegen ihrer Größe, sondern wegen dieses Symbolgehalts wichtig ist. Abgesehen davon, dass ihr die Politik die Möglichkeit nahm, sich selbst das Überleben zu sichern, ist es egal, wie groß und bedeutend sie ist. In der jetzigen Situation der medialen globalen Bedrohung der Demokratie durch Pseudomedien zählt jeder mediale Versuch, der dagegenhält, und sei er noch so klein.

Umso größer die Dummheit und Schandbarkeit einer Politik, die so tut, als verstünde sie das nicht. Van der Bellen gab klar zu erkennen, dass er es versteht, aber halt nix machen kann oder will (es ist nicht seine Aufgabe, sich in Tagespolitik einzumischen, und wenn er es hinter den Kulissen tat, ist es klüger, uns das nicht auf die Nase zu binden; so könnte man seine schweigende Anwesenheit deuten).

Als der Sprecher der als ganze Redaktion ausgezeichneten Wiener Zeitung, Gregor Kucera, auch Betriebsrat dort, zu seiner Dankesrede antrat, wurde er immer wieder am Reden gehindert, weil ihn die Tränen überkamen. Es war ein wirklich trauriger Moment im Leben einer auf dem Abstieg befindlichen Republik, und trostlos machte ich mich vom Acker, durch die Fluchten von Spiegelsälen, Lustern, Parkett, Porzellan Ölgemälden und Sicherheitsbeamten.


Süßer Trost: Badener Karamell-Bonbons, Pfefferminztaler, Karamell-Bonbon

Man kann im Leben auch in den schwärzesten Momenten nicht trostlos bleiben, und so betrat ich zum erstenmal in meinem Leben auf dem Heimweg die Confiserie Anzinger beim Albertinaplatz (1., Tegetthoffstraße 7), da ich im Schaufenster die selten gewordenen Badener Kaffee-Karamellen erblickt hatte. Die freundliche Dame im Inneren des Geschäfts parlierte gerade mit Kunden in feinem Italienisch und hatte außerdem Humor. Ihr Angebot war das, was ich mir unter einem Wiener Zuckerlgeschäft vorstelle, nicht modernes Massenzeug aus Massenproduktion. Ich entdeckte Pfefferminz-Taler von zartestschmelzender Konsistenz, Karamellbonbons sowieso, aber auch, wer’s mag, die klassischen Himbeer-, Seiden- und sogar Kirstein-Blockmalzzuckerln. 

Ich würde nicht so weit gehen und sagen, das ist Wiener Zeitung zum Lutschen, aber ich sage euch zwei Dinge: die Konfiserie Anzinger ist einen Besuch wert, wenn ihr wissen wollt, wie süß Wien sein kann (oder konnte, denn diese Konfiserie ist lebendige Geschichte, die einen ständig zwingt auszurufen: dass es so etwas noch gibt!); und zweitens: die hat auch einen Online-Shop, den ich allerdings noch nicht ausprobiert habe. Vielleicht tun Sie’s. Das Leben und die Medienpolitik sind bitter genug.

Morgen gibt’s dann vielleicht ein anderes Zuckerl: Marx und der Bablerismus, oder so.


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Was wir aus der Pandemie gelernt haben könnten: Distanz kann nicht schaden, halten Sie Ihre Impfungen up to date, Händewaschen ist nie falsch, benützen Sie Masken, wenn es sich empfiehlt, und bleiben Sie rücksichtsvoll.

Ihr Armin Thurnher 

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