Der Kosmo-Unpolit
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 1085

Do hob i eam, den Guterres! Gfreits eich? Foto © Parlamentsdirektion, Johannes Zinner
Kleine Pause vor dem nächsten Buch. Heute kommt zwischendurch ein Bild dran, das ich nicht mehr aus dem Kopf schaffe, nicht weil, sondern obwohl es so trivial ist, wie österreichische Politik nur sein kann. Morgen und am Montag schreibt hier der Immunologe! Aber dann geht’s weiter mit Büchern, die Liste wird länger…
Das Bild zeigt den Präsidenten des österreichischen Nationalrats, der sich ohne innere und äußere Notwendigkeit nach New York City begab, um dort an den Gedenkfeiern zum Terroranschlag auf das World Trade Center teilzunehmen, der vor 22 Jahren die Twin Towers getroffen hatte, am 9. September 2001.
Nebenbei fand er Zeit, dem New Yorker Bürgermeister einen gewiss lang erwarteten Besuch abzustatten („ah, Wulfgäng from Australia!“) und die jüdische Gemeinde vor den Gefahren des Antisemitismus zu warnen, die ihr bisher entgangen waren. Bezahlt wurde all das naturgemäß von uns, deswegen muss uns auch klar sein, dass das gute Steuergeld vor allem einem einzigen Zweck diente: jenes Bild zu generieren, über das ich nicht schreiben will, aber muss.
Warum jettet der Präsident des Nationalrats durch die Welt, als gälte es, die Bonusmeilen des Außenministers zu übertreffen? Ist es innere Emigration, die ihn nach außen treibt? Die Folge einer Serie von Erniedrigungen, die sich als Karriereschritte maskierten? Er wurde Innenminister, weil ihn Erwin Pröll nicht zum Landeshauptmann machen wollte. Er wurde Nationalratspräsident, weil Sebastian Kurz dem Parlamentarismus seine ganz persönliche Verachtung bezeugen wollte.
Nie und nimmer wird er Kandidat der ÖVP bei den Wahlen zum Bundespräsidenten, denn diese Partei ist Kummer gewöhnt, aber das Ergebnis von Andreas Khol (11 Prozent) möchte sie bei dieser Gelegenheit nicht mehr unterschreiten. Zuletzt erniedrigte ihn die ihm vorgezogene niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, indem sie ihm mitteilte, er sei nicht mehr die Nummer Eins auf der niederösterreichischen Landesliste.
Der Mann hat es also nicht leicht. Ein Musensohn, der sich mit der Anmietung eines Protzklaviers verhob. Ein Bauherr der Renovierung des Parlaments, dem als erstes Krähen Steine auf die neue Glaskuppel werfen. Ein Maitre d’, der nach kurzer Frist die Pleite des von ihm initiierten „Fine-Dining-Restaurants“ schlucken muss, das er zynischerweise nach dem Baumeister jener Verfassung benannt hatte, die ihm offenbar weniger bedeutet als eine Speisekarte.
Wer flöhe da nicht, so weit er kann? Aber die Fluchten missglücken nah und fern. Der Trip zum ungarischen Kreuzritter-Haberer wird ihm von böswilligen Journos als Probeweg in den Autoritarismus ausgelegt, das Schunkeln mit Hindufaschisten im indischen Parlament als bornierte globale Ahnungslosigkeit, als Beweis seines kosmo-unpolitischen Banausentums, die Pose mit Rose und Prince Charles als plumpste Yellow-Press-Anbiederung.
Seine Domäne ist die Bilderjagd, die Erschleichung von Abbildungen mit Weltprominenz. In New York, in der UNO, bei den Schwarzen und überhaupt an der Ostküste, da kann nichts schiefgehen, dachte er, und wusste genau, was er wollte. Einen Termin beim UN-Generalsekretär, um dieses eine Bild zu erlangen.
Da war er schon, der Guterres, ein trauriger Portugiese, geplagt von all den Krisen der Welt, die unserem Nationalratspräsidenten nicht die Laune verderben.
Da stand er, der Guterres, müde der Katastrophen, müde der uneinsichtigen Regierungen, die mit der Klimakatstrophe nicht umzugehen wissen, müde der Massen der Flüchtenden, die ersaufen und verhungern, müde der Unverschämten, die sich bereichern, müde der Pfründner, die nur ihre Schäfchen ins Trockene bringen, müde der Diktatoren mit den blutigen Händen, und müde der grinsenden Autogrammjäger und zähnefletschenden Fotosafaristen, die ihm die kostbare Zeit stehlen, um sich auf ein Bild mit ihm zu drängen.
Bitte lächeln!, sagt der Fotograf zu Guterres, der sich überwindet, obwohl er die Last der Welt auf seinen Schultern fühlt wie Massen von Kontinenten. Schon packt ihn dieser Barbar aus Österreich, dieser manische politische handlungslos Reisende, bei der Hand und legt ihm seine andere Pranke auf und reckt sich mit einem besitzergreifend breit bleckenden Grinsen ins Bild, das den armen Guterres noch müder macht, als er es eh schon war.
Der Bleckgrinser aber merkt es nicht, er schaut nur auf den Fotografen, ob der im Kasten hat, was er im Kasten haben muss, denn, so denkt der Blecker, wozu habe ich ihn mitfliegen lassen, wenn nicht für Bilder wie dieses, und solche mit all den Juden, denen ich auf die Schulter klopfe. Wer weiß, vielleicht werde ich doch noch einmal aufgestellt, es geht eigentlich nur mehr der Bundespräsident, den könnte ich ihnen ja klavierspielen, wenn sie mich nur ließen, und dafür kann man so ein Foto brauchen.
Was ist ihm die Müdigkeit der Welt, was die Erschöpfung derer, die sie vor dem Schlimmsten retten wollen! Er legt sein ganzes Gewicht auf den müden Guterres, es ist nicht viel, er ist ja unbeschwert, hat nichts im Sinn als sich und die Pose, und schiebt den verdutzten Portugiesen vor zum Fotografen.
Dann kann er gehen, er hat sein nichtsnutziges Werk getan. Schickma des da Apa, sagt er zum Mitarbeitertross, sein Lächeln ist mit einem Mal erstorben, des mit dem Listenplatz, des schauma uns no an, denkt er. Und des mim Bundesbresidentn a. Wenn s’ erst amoi des Foto gsehn ham!
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Ihr Armin Thurnher