Schiach

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Kolumnen, FALTER 17/2004 vom 21.04.2004

Liebe Frau Andrea,

seit langem versuche ich der Herkunft des Wörtchens "schiach" auf den Grund zu gehen. Wen immer man fragt, meint "schiach" sei "hässlich". No na, aber es kann sich ja unmöglich davon ableiten und es ist mir ein Rätsel, wie eines der häufigsten und beliebtesten Wörter des österreichischen Sprachgebrauchs keine schriftsprachliche Wurzel hat. Wo schaut denn ein Ausländer, der in Wien Deutsch lernen möchte, im Wörterbuch nach, wenn er das Wort "schiach" in der Straßenbahn hört?

Liebe Grüße, Karin, Internet

Liebe Karin,

das Wienerische ist eine kleine, überaus raffinierte Zeitmaschine, das Ausdrücke bewahrt hat, die längst aus den deutschen Wörterbüchern gepurzelt sind. Das schüchterne Wörtchen mit der hässlichen Bedeutung kommt direkt aus dem späten Mittelalter. Noch im Mittelhochdeutschen hieß unser Adjektiv schiech, schieh und entsprach einer Bedeutungswolke, aus der es mal verzagt, mal abschreckend, mal zornig regnete. Etymologisch kommt schiach aus der Sippe jener Wörter, die Straßenbahn fahrende Ausländer mit lexikalischer Reiselektüre unter scheu (englisch: shy) fänden. Scheu selbst hieß zu Luthers Zeiten noch scheuch, wird von Wienern aber schiacherweise scheich ausgesprochen. Ein saudi-arabischer Potentat mit herausgeforderter Physiognomie und furchtsamem Wesen mag in Wiener Straßenbahnen also durchaus als schiacha, scheicha Scheich bezeichnet werden.

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dusl@falter.at

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