Esskulturen

"Du schaust so zurückhaltend, ich möchte dir die Hammelkeule vorstellen", sagte die Rote Königin. "Alice – Hammel, Hammel – Alice." Lewis Carroll, "Alice hinter den Spiegeln" China ist nach eigenen Angaben dieser Tage zum weltweit größten Internetnutzer aufgestiegen.

Peter Iwaniewicz
FALTERS ZOO, FALTER 16/06 vom 19.04.2006

Zeichnung: Bernd Püribauer

Die Betreiber von Google haben jetzt auch ihre chinesische Version der Suchmaschine vorgestellt, die das dortorts fonetisch unbeliebte „l“ im Namen vermeidet und sich „Gu Ge“ nennen wird, was so viel heißen soll wie 2Lied der reichen Ernte“.
Eine schöne Konnotation für ein Land, dessen Bewohnern vorgeworfen wird, so ziemlich jedes Tier zu verspeisen. Antisinologische Propaganda, denn mit zunehmendem wirtschaftlichem Aufschwung beginnen die Chinesen auch ihre Haustiere zu ehren. In Sanjiang, Provinz Guangdong wurden letzte Woche 200 Katzen zu einem Festbankett eingeladen und zum Dank für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Beseitigung von Ratten mit Fisch verköstigt. Ein schöner erster Schritt, aber es geht noch persönlicher: Im Paradise Pet Club in Shanghai kann man gemeinsam mit seinem pelzigen Lieblingstier eine Mahlzeit einnehmen. Auf den Vorwurf des zuständigen Marktamtes, das Essen an einem gemeinsamen Tisch sei unhygienisch, entgegnete der Besitzer des Restaurants, dass man die Teller dreimal täglich desinfizieren würde und die Besucher einen Gesundheitspass für ihre Tiere vorweisen müssten.
Während in den Entwicklungsländern exotische Tiere vielmehr aus Mangel an verfügbarer Nahrung auf dem Speisezettel stehen, prötzelt der weltläufige Europäer gerne mit seinem kulinarischen Erfahrungen. Frau Fisher, Autorin des Buchs „How To Cook a Wolf“ schrieb: „Ich habe immer geglaubt, dass ich alles probieren möchte, freilich nie vor lauter Hunger, der Freunde von mir 1942 in Frankreich veranlasste, Meerschweinchenragout zu essen, sondern aus reiner Lust am Essen.“ Und Jerry Hopkins, der Jim-Morrison-Biograf, meint: „Denken sie an den Menschen, der als Erster die Auster probierte. Das hat nicht nur etwas mit Essen zu tun, es ist ein Abenteuer.“
Gourmetschnösel und Gourmandglobetrottel sind es also, denen die weltweit circa zwanzig Nutztierarten als Nahrungsquelle nicht genügen und sich auf die Jagd nach Seepferdchensuppe, Fischaugen und Quallensalat begeben. Tierarten, die nicht gezüchtet, sondern als Wildtiere den natürlichen Lebensräumen entnommen werden.
Als kleiner Tierfreund hält man es vielmehr mit der eingangs zitierten Alice im Wunderland, die es ablehnte, den angebotenen Hammel zu essen, weil es nicht von gutem Benehmen zeugt, etwas zu essen, dem man vorgestellt worden ist.


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