"Nur ein Foto!"

Stadtleben, FALTER 15/08 vom 09.04.2008

Fröhliche Menschen, strahlende Gesichter, glückliche Familien, Kinderlachen: Das Jüdische Museum gibt mit der Ausstellung "Leben! Juden in Wien nach 1945" Einblicke in das Leben von Wiener Juden nach Vertreibung, Holocaust und Krieg. Niemand erwartete

damals, dass sich in Wien je wieder Juden ansiedeln könnten. Doch in den Nachkriegsjahren entwickelte sich die "Stadt ohne Juden" zu einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens in Europa. Die Überlebenden aus den Displaced

Person Camps kamen zuerst, dann Flüchtlinge aus den

kommunistischen Ländern des Ostblocks. Für viele war Wien nur Zwischenstation auf dem Weg nach Israel oder in die USA. Andere blieben aber, gründeten Familien, belebten die klein gewordene jüdische Gemeinde wieder.

Margit Dobronyi kam 1956 auf der Flucht vor den Kommunisten von Ungarn nach Wien - allein, mit vier kleinen Kindern. Wohl eher aus Zufall wurde die gelernte Dolmetscherin das, was man heute "Partyfotografin" nennt. Sie fotografierte mit ihrer Leica in der Community bei Hochzeiten, Bar-Mizwas und anderen jüdischen Feierlichkeiten, aus dem Hobby wurde eine Passion. Entstanden sind in den vergangenen Jahrzehnten mehr als eine Million Fotos, erzählt Dobronyi der Filmemacherin Ruth Beckermann im Interview. Beckermann hat für das Jüdische Museum eine Auswahl an Bildern zusammengestellt: private Momente, Spaß und Glück. Unkommentiert und unbedingt sehenswert erzählen sie die andere Geschichte der Juden in Wien.

Vor einiger Zeit hat die inzwischen 95-jährige Dobronyi aufgehört zu fotografieren. In der Community bekannt war die Chronistin für ihre Hartnäckigkeit und den Spruch "Nur ein Foto! Nur ein Foto!", mit dem sie das pralle Leben festhielt.

C. W.

"Leben! Juden in Wien nach 1945", noch bis 22.6. im Jüdischen Museum.

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