Heilslehre

Stadtleben, FALTER 44/2008 vom 29.10.2008

Die eigentlichen Gründe für Omnium Sanctorum, das Allerheiligenfest, sind mittlerweile im nebelgrauen Schatten der Jahrhunderte verlorengegangen. Viele religionsferne Menschen glauben heutzutage, das Fest hieße "Herbstferien", das man als älterer Mensch durch rituelle Bäder und Massagen in Wellnesstempeln würdig begeht, während sich Teenager am Vorabend, dem Halloween Eve, in Lumpen hüllen, das Gesicht schminken und sich durch Unmengen besonders zuckerhaltiger Nahrung in Form von Spinnen oder Fledermäusen in einen hyperaktiven Zustand versetzen.

How come? Im zweiten Jahrhundert kehrte mit der Person des Märtyrers die heidnische Heiligenverehrung ins Christentum zurück. Die ritualisierte Bewunderung von Helden entwickelte sich aus dem antiken Totenkult, bei dem Kriegshelden und Vorfahren als Helfer, Heiler und Beschützer um ihre jenseitige Unterstützung gebeten wurden. Im Zentrum des Kults stand das Grab des Helden, an dem zu bestimmten Anlässen gebetet und vor allem geopfert wurde. Blumen- und Kranzschmuck wurde aufgelegt, die Leute salbten sich, Weihrauch wurde verbrannt, und für die Heiligen wurden Grablichter angezündet. Dabei aß man auch festlich, und so entwickelten sich exzessive Feste, über die der koptische Abt Schenute schrieb: "Man schwatzt, isst, zecht, lacht nicht nur: Überall herrscht Trunkenheit, Ausschweifung, Zank."

Als mit der Etablierung des Christentums als Staatsreligion der Nachschub an Märtyrern fehlte, begann man, auch Mönche, Bischöfe und sonstige Asketen zu verehren. Ein richtig gutes Geschäft wurde der Heiligenkult erst durch den Handel mit Reliquien. Um einen Mangel daran auszugleichen, postulierte man bald: "Geteilter Körper, aber ungeteilte Gnadenwirkung" und begann die oft noch kaum erkalteten Leichname zu zerschneiden und ihre Körperteile zu verkaufen. Im vierten Jahrhundert wurde das Kreuz Christi "entdeckt" und später die Christenheit auch mit seinem daran vergossenen Blut und sogar seinem Präputium, der Vorhaut, beglückt. Die Stadt Verona behauptete sogar, den Kot des Palmesels, auf dem Jesus ritt, als Reliquie zu bewahren. Insofern hat sich das Allerheiligenfest ganz stimmig an die Bedürfnisse der Konsumkultur unserer Zeit angepasst.

Und verehrt werden darf immer noch: Ein Obdachloser fand auf einem britischen Bahnhof den Kopf von Paul McCartney - natürlich nur als Wachsreliquie. Und diese besitzt angeblich einen Wert von mehr als 12.000 Euro. Heiliger Strohsack!

Der Autor ist Biologe und schreibt im Falter seit 1993 über das Tier im Menschen. Diskutieren Sie mit: www.falter.at/tier; iwaniewicz@falter.at

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