Immer an der Kippe
Im Haus Miriam leben Frauen, deren Existenz aus den Fugen geraten ist. Seit 20 Jahren
Reportage: Sibylle Hamann
Miriam war eine Prophetin. "Sie nahm ein Tamburin in ihre Hand, und alle Frauen folgten ihr tanzend", heißt es im Alten Testament. Sie war vorn mit dabei, als das jüdische Volk das Joch der Knechtschaft in Ägypten abschüttelte und sich auf den Weg ins gelobte Land machte.
Inzwischen ist Miriam im 18. Wiener Gemeindebezirk angekommen, gleich gegenüber vom Café Schopenhauer. Es ist die schmuddelige Ecke des Achtzehnten, zwei Häuser weiter rauscht der Gürtel vorbei, nachts stehen dort Frauen in hochhackigen Stiefeln am Straßenrand.
Doch wer das Haus Miriam betritt, ist sicher. Es ist ein großzügiges Gründerzeithaus mit verspielten Erkern. Offiziell heißt es "Übergangswohnhaus für Frauen in psychischen und sozialen Krisen". 38 Frauen wohnen hier in drei WGs; im Kellergewölbe ist die Kapelle, im Erdgeschoß die Großküche, unterm Dach der Bastelraum. Eine unbestechliche Portiersfrau wacht hinter der schweren Eingangstür, denn oben sind weder Alkohol noch Drogen noch Männer erlaubt. Betrieben wird das Haus von der Caritas. Diese Woche feiert es - mit indischen Tänzerinnen, Sekt und Kuchen - sein 20-jähriges Bestehen.