Ein Bastard namens Einkaufszentrum
Das Leben des Victor Gruen. Wie ein Wiener unfreiwillig zum Geburtshelfer der Shoppingmall wurde
Bericht: Joseph Gepp
Wien, das sind baumbestandene Boulevards und Kaffeehäuser, das ist Flanieren und Promenieren, das sind stundenlange Gespräche bei billigem Kaffee. Die ideale Verschränkung von Kultur und Kommerz. So dachte Victor Grünbaum. Der Wiener Jude liebte die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Bald jedoch kam das Jahr 1938, und er musste fliehen.
Grünbaum, amerikanisiert Victor Gruen, sollte noch Geschichte schreiben, aber nicht freiwillig. Er nahm sein Bild von Wien ins US-amerikanische Exil mit. Dort wurde er Architekt und Stadtplaner.
Gruen wollte seine Vorstellung von der perfekten Stadt den gesichtslosen US-Metropolen aufdrücken. Diese Städte hatten sich oft zufällig entwickelt, sie verfügten über keine natürlichen Mittelpunkte, und ihre Einwohnerzahlen explodierten geradezu. Gruen wollte gegensteuern, mit der Schaffung von künstlichen Zentren, für Gespräche und Spaziergänge, für Fortbildung und Feste. Die Stadt braucht öffentlichen Raum, dieser öffentliche Raum jedoch braucht ein wenig gebändigten Kommerz, dachte Victor Gruen. Der konsumierte Kaffee bedingt das Gespräch. So wie die Stadt, die Gruen geprägt hatte, sollten auch US-Metropolen werden. Neue Mittelpunkte sollten ihre heruntergekommenen Stadtzentren und vorstädtischen Reihenhaus-Wüsten beleben.