Hundert Jahre Zeitausgleich
Befindlichkeitskolumne
Was wollen die Studenten?
(Fischer Taschenbuch, 1968)
Du bist verloren, deshalb darfst du mich noch ein bisschen ficken. (Aus: „Der reizende Reigen“ v. Werner Schwab)
Während die Sozialwissenschaft sich noch unsicher ist, ob die Finanzkrise den Puffs Zuwachsraten oder Abschwung beschert, konnte man vergangene Woche am Südtirolerplatz das Revival der Free Hugs-Bewegung beobachten. Junge Menschen verteilen Gratis-Umarmungen an Passanten, weil sie das erstens auf YouTube gesehen haben und sie sich zweitens nach Körperwärme sehnen, weil sie drittens ihren Beitrag zu irgendwas leisten wollen und weil sie es viertens irgendwie poetisch finden und betonen, dass das mit Sexualität gar nichts zu tun habe. Der Pionier der Sexualforschung, Paolo Mantegazza, nannte seine Studien die „Wissenschaft der Umarmungen“, und er wusste vermutlich, warum. Die Scheißhausstudentenwerbeagentur Campusad setzt auf den Befund, dass Studenten, die ja meinungsbildend, offen für neues, gut ausgebildet sind, einfach nur ficken wollen, vor allem wenn sie Single (tu was dagegen!) sind, und plakatiert zart pornografische Datingseiten. Die Vierzigjährigen, die wegen ihrer abgewetzten Jacke nicht in die geilen Studentenschuppen (Revolution!) reindürfen, erzählen derweil, dass das doch früher alles linke Lokale waren. Es ist aber schon wahnsinnig lang her. Der angesagteste Partyschnaps heißt übrigens Ficken.