Die Macht und die Lust
Warum sich unsere Politiker als Hedonisten inszenieren
Essay: Isolde Charim
Die Grünen werden heute als hedonistische Bobopartei bezeichnet. Dies ist eine treffende Beschreibung, wenn auch keine freundliche. Hedonismus ist hier als Vorwurf gemeint. Jörg Haider hingegen führte uns vor, wie Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll heute aussehen. Damit ist nicht sein VW Phaeton nach dem Unfall gemeint, sondern sein Lebensstil bis dorthin. Hedonismus als Lebens- (und Sterbeform) eines extrem rechten Politikers und Hedonismus einer gefühlt linken Partei – zwei widersprüchliche Szenen. Sie zeigen eine Verschiebung, die so neu nicht ist.
Im Gefolge von 68 hat eine Poplinke die Lust als Lebensprinzip stark gemacht – gegen die langweiligen Spießer, also die Eltern, aber auch gegen die Kollegen von der dogmatischen, puritanischen Linken. Der Poplinken war Hedonismus ein Glücks- und Freiheitsversprechen, das sich unmittelbar im Hier und Jetzt vollziehen ließ. Genießen war sowohl Medium als auch Einsatz einer emanzipatorischen Rebellion. Es war Ausweg aus der Spießigkeit, Befreiung vom vorherrschenden Puritanismus mit seiner restriktiven Sexual-, Arbeits- und Lebensmoral: Es holte uns da raus. Hedonismus – das war das ganz Andere, das pralle Leben.