Ingeborg und Paul: Was für Lebensmenschen!
Der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan befriedigt den Voyeurismus nicht nur der Germanistik
Glosse: Erich Klein
Zur Veröffentlichung waren die 196 erhaltenen Briefe, Postkarten und Widmungsgedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die zwischen 1948 und 1967 entstanden sind, nicht bestimmt. Entsprechend pathetisch wird der kommerziell gewiss interessante, philologisch eher unergiebige Voyeurismus begründet: Endlich habe man gesichertes Wissen über diese legendenumwobene Affäre der Nachkriegsliteratur. Penetranter ist nur die Charakterisierung der Protagonisten, deren "Schicksal" nicht unterschiedlicher sein könne: "Die Philosophie studierende Tochter eines frühen österreichischen Mitglieds der NSDAP und ein staatenloser Jude deutscher Sprache aus Cernowitz, der beide Eltern in einem deutschen Konzentrationslager verloren und selbst ein rumänisches Arbeitslager überlebt hatte." So richtig das sein mag, so falsch ist es, wenn der Kontext den Text ersetzt. Geiler Plot, dachten die Germanisten - welche Lebensmenschen!
Fanatiker der Psychokiste dürfen auch in den Briefen von Celans Ehefrau Gisèle Lestrange und Bachmanns Partner Max Frisch kramen. Ansonsten findet man Erhellendes zur "Todesfuge", zahlreiche Details zur Intriganz des Literaturbetriebs und Celans noch immer zutreffenden Spott über Wien: "(...) dass man in Wien nur in den allerseltensten Fällen wirklich auch das ist, was man zu repräsentieren vorgibt. Ich will damit sagen, dass viele der Menschen, die in Wien den Ton angeben, in den meisten Fällen ein verschanztes Ohr haben und einen vorlauten Mund."
Lesung mit Jens Harzer und Johanna Wokalek: 5.12., 20 Uhr im Burgtheater
Herzzeit. Ingeborg Bachmann - Paul Celan. Briefwechsel. Suhrkamp, 401 S., € 24,80