Fantastische Diskurse: René Polleschs „Fantasma“

Christopher Wurmdobler
FALTER:Woche, FALTER:Woche 50/2008 vom 10.12.2008

Die Welt der Vorstellung ist ein Rummelplatz. Zumindest hat Ausstatter Bert Neumann für René Polleschs „Fantasma“ eine Geisterbahnfassade ins Akademietheater gepackt. Wir sind im falschen Bühnenbild, sagt Schauspielerin Sophie Rois, und dass sie hier unmöglich die Dubarry spielen könne. Muss sie auch nicht, hinter der Kulisse läuft ohnehin der Stummfilm von Ernst Lubitsch. Überhaupt tut sich einiges hinter der Kulisse. In erster Linie versucht man dort zu klären, wieso die chinesische Führung das kommunistische Projekt aufgegeben hat und zum Aufbau des Kapitalismus übergegangen ist. Oder wann der eine aufgehört hat, die andere zu lieben. „Ja, genau“, ereifern sich die sechs Protagonisten und treiben sich gegenseitig im Diskurs über den Zustand der Welt an.

Irgendwann denkt man als Zuschauer auch nur noch zustimmend „Ja, genau“ und kippt auf die spritzigen Diskurse über Liebe und Kapital rein, die vor oder in der Theatergeisterbahn stattfinden.

Die klugen, dialogisch aufgeteilten Gedankenströme sind streckenweise ausgesprochen witzig, und man kichert wie ein Kammerspiele-Abonnent bei diesen halblustigen Gesellschaftskomödien; was natürlich auch an dem bestens zusammengestellten Starensemble liegt (neben der wie immer fabelhaften Rois zum Beispiel Martin Wuttke oder die tolle Sachiko Hara, die in „Fantasma“ eine sensationelle Achterbahnfahrt hinlegt).

Selbst wenn man all die Zitate aus und Referenzen an Gegenwartsphilosophie, Detektivstory und „Die nackte Kanone“ nicht (er-)kennt, ist das ein großes Vergnügen – wie auch immer Herr Pollesch das nun wieder hinbekommen hat.

Wer übrigens glaubt, dass diese Vorstellung mit den spektakulären Bühnentoden der Darsteller zu Ende ist, hat nicht aufgepasst. Denn wenn sich alle von der Bühne in die Abgründe des Zuschauerraums gestürzt haben, ist es noch lange nicht vorbei. Ein Theatertext ist erst zu Ende, wenn da auch „Ende“ steht. Ja, genau!

Akademietheater, Sa 19.00, Mo 20.00

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