„Europa hat Angst vor uns Barbaren“
Die kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic´ über Schikanen, Chancen und Hoffnungen diesseits der Schengengrenze
Gespräch: Florian Klenk
Es gibt wenige Intellektuelle, die über Osteuropa so Auskunft geben können, wie die derzeit in Wien lebende Publizistin Slavenka Drakulic´. Sie wagt sich an ein großes Projekt: ein Reportagebuch über Nationalismus in Osteuropa. Drakulic´ macht dabei, was viele Journalisten verlernt haben: Sie reist, vergleicht, beobachtet, nimmt sich Zeit. Das auf Englisch geführte Interview fand im Institut für die Wissenschaft vom Menschen statt, wo Drakulic´ derzeit forscht.
Falter: Frau Drakulic´, vor einem Jahr ist die Schengengrenze nach Osten gerückt. Was hat sich für Sie als Kroatin verändert?
Slavenka Drakulic´: Slowenien bewacht nun die EU-Grenze wie ein Heiligtum. Es ist mitunter sehr demütigend. Kürzlich fuhr ich mit der Bahn, eine junge slowenische Polizistin kontrollierte meinen kroatischen Pass und fragte: „Wohin fahren Sie?“ Ich sagte: „Nach Wien“. Dann fragte sie: „Wie lange bleiben sie dort? Was ist der Zweck ihrer Reise?“ Dann sagte ich: „Ich weiß es nicht.“ Sie schaute mich misstrauisch an. Dann spürte ich die nächste Frage: „Wie viel Geld haben Sie eigentlich?“ Da reichte es mir. Ich bin eine ältere Dame, die nichts Illegales vorhat. Wieso muss ich mich rechtfertigen?