Telefonkolumne

Politik, FALTER 51/2008 vom 17.12.2008

Wieso werfen die Bagdader mit Schuhen, Herr Al Rawi?

Zwei Schuhe der Größe 43 verfehlten am vergangenen Sonntag US-Präsident George W. Bush nur knapp. Der Journalist von El Bagdadia, Montasser el Saidi, gilt seither als Held in Bagdad. Nun werfen die Leute auf der Straße den US-Truppen ihre Schuhe nach. Warum eigentlich? Der SP-Gemeinderat Omar Al Rawi weiß es. Er stammt aus Bagdad.

Herr Al Rawi, wieso schmeißen die Iraker mit Schuhen auf Bush?

Es ist im Irak die schwerste Beleidigung, die man einem Menschen zufügen kann. Schon wer die Füße überkreuzt und mit den Fußsohlen unabsichtlich auf einen Menschen zeigt, entschuldigt sich. Im Hotel Al Rashid hat Saddam das Bildnis von Bushs Vater auf den Boden malen lassen, damit alle mit den Füßen auf ihn steigen.

Warum hassen die Iraker Bush so? Er hat sie von Saddam befreit. Seine Statue wurde damals mit Füßen getreten.

Das stimmt, doch nun leben viele Iraker in einem Zustand der totalen Unsicherheit. Wenn man ins falsche Viertel gerät, wird man umgebracht oder entführt. Am Markt trifft einen vielleicht eine Rakete oder Bombe. Ich habe ständig Sorge um Verwandte. Es gibt keinen Strom, keine gescheite Müllentsorgung, schlechte Medizin. Viele denken sich: Früher musste man nur gegenüber dem Regime still sein, um vielleicht in Frieden zu leben. Heute gibt es kein Rezept, um nicht Opfer von Gewalt zu werden.

Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an das Bagdad Ihrer Kindheit denken?

An den Tigris, an die tollen Fischrestaurants, an die lauen Abende im Winter und die heißen Sommer. Ich bin mit meinen Schulfreunden, darunter Christen und Kurden, in den Kinos gewesen. Bagdad war eine multireligiöse Stadt.

Wieso sind Sie nach Wien gekommen?

Ich kam als Student im Jahr 1978. Mein Vater ahnte schon das Schlimmste. Zwei Jahre später begann der Krieg gegen den Iran. Wäre ich geblieben, hätte mich Saddam Hussein an der Front verheizt.

Interview: Florian Klenk

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