"Den Menschen fehlt die Sicherheit"
Der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler über kollektive Ängste und Irritationen in Zeiten der globalen Krise
Interview: Julia Ortner
Der Mensch und die Wirtschaft - mit diesem komplexen Verhältnis beschäftigt sich der Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler an der Uni Wien. Bei seiner Arbeit geht es vor allem um eines: finanzielle Entscheidungen. Die Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen sind daher auch für seine Forschung eine interessante Erscheinung.
Falter: Herr Professor Kirchler, viele fürchten sich vor der Wirtschaftskrise. Wie groß ist jener Anteil der Krise, der sich auf die bloße Angst der Menschen davor zurückführen lässt?
Erich Kirchler: In Zeiten der Stabilität hat die Psychologie keinen besonderen Einfluss auf die Wirtschaft. Doch wenn die wirtschaftliche Lage instabil ist, ändert sich das grundsätzlich: Nun spielen etwa auch Meldungen über Morde auf der Titelseite der New York Times eine unmittelbare Rolle für die Börsenkurse. Psychologie beeinflusst das Geschehen jetzt mehr als die wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Wochen. In der derzeitigen Krise beobachten wir eine große Verunsicherung der Bevölkerung, weil sich bekannte Trends unerwartet verändert haben und weil die verlässlichen Informationen fehlen, wie es weitergeht. Die Menschen sind irritiert und suchen nach Informationen, um wieder planen zu können. Generell orientiert man sich in der Krise an Expertenmeinungen und daran, wie die Masse handelt - aber ein klarer Trend ist derzeit noch nicht erkennbar. Den Menschen fehlt die Sicherheit, um zu planen.