Enthusiasmuskolumne
Diesmal: die beste Dramenausgrabung der Welt der Woche
Im Dschungel der Siebzigerjahre
Das Künstlerleben in den 70er-Jahren muss ziemlich lustig gewesen sein. Vielleicht war es auch ein bisschen anstrengend, zumindest für die anderen. Und sicher war es sehr ungesund, in den 70ern Künstler zu sein.
Einen anschaulichen Eindruck davon, wie es anno dunnemals unter Künstlern zugegangen ist, kann man sich derzeit in der Komödie am Kai machen, wo noch bis 31. Jänner Wolfgang Bauers „Massaker im Hotel Sacher“ auf dem Spielplan steht. Der Wiener Autor und Gelegenheitsregisseur Georg Biron hat das kleine Boulevardtheater angemietet und bringt das Bauer-Stück hier mit wenig Geld in Eigenregie zur Aufführung.
Die Inszenierung ist kein Meisterwerk, die Aktion aber ist Biron hoch anzurechnen: Das Stück ist eine echte Entdeckung. Das in Bauers Hochzeit (zwischen „Change“ und „Gespenster“) entstandene Werk handelt von einem Autor namens Wolfram Bersenegger, der ein Auftragsstück abliefern soll. Weil ihm nichts einfällt, mietet er eine Suite im Sacher und lädt eine illustre Runde aus Künstlerfreunden zu einer Silvesterparty. Ohne deren Wissen zeichnet er das Fest auf Tonband auf – auf diese Weise soll sich das Stück von selbst schreiben.
Nach der Uraufführung 1971 ist „Silvester oder Das Massaker im Hotel Sacher“ (so der vollständige Titel) schnell wieder von den Spielplänen verschwunden. Es gilt als Verlegenheitsarbeit, und wahrscheinlich war es das ja auch. Aus heutiger Sicht aber ist es ein faszinierendes Zeitdokument, in dem Bauer den aktuellen Realitywahnsinn vorweggenommen hat – in Form einer beißend zynischen Künstlersatire. Wenn man will, ist das „Massaker“ eine Art Künstler-Dschungelcamp. Motto: Ich bin Autor – holt mir noch was zu trinken!
Schön wär’s, würden sich auch besser ausgestattete Bühnen der vergessenen Stücke eines großen Dramatikers entsinnen, der 2005 im Alter von nur 64 Jahren gestorben ist. An den Spätfolgen eines Künstlerlebens in den 70er-Jahren.