Mit stumpfem Skalpell

FALTER:Woche, FALTER:Woche 5/2009 vom 28.01.2009

Dass der Wiener Aktionismus über die Jahre nichts von seiner Kraft verloren hat, beweist wieder einmal die Ausstellung „Der chirurgische Blick“ bei WestLicht. Die krassen Posen und Gesten springen einen unvermindert heftig an, vor allem natürlich bei Aktionen, die bisher wenig publiziert wurden. Alle Exponate der Schau stammen aus der beachtlichen Sammlung von Philipp Konzett, der auch von den Aktionisten gestaltete Künstlerbücher, Folder und Plakate zusammengetragen hat. Der Ausstellungskurator Hubert Klocker wollte besonders die Inszeniertheit der scheinbaren Exzesse herausstellen, die vielen Betrachtern dieser Kunst entgeht. Einige Zeichnungen und Notizen der Künstler sollen die Choreografien verdeutlichen, gehen aber im Bildüberschuss unter. So wird in der Schau etwa viel zu wenig klar, wie sehr Rudolf Schwarzkoglers analytische und vor allem für die Kamera aufgeführten Rituale von der Vorgangsweise von Brus, Muehl und Nitsch abweichen. Die Unterscheidung zwischen Dokument und inszenierter Fotografie wird so nicht zum Thema.

Mehr als mangelhaft auch der Umgang mit den Fotografen: Bei vielen der Vintage Prints sind keine Namen angegeben, was in einer Fotoinstitution doppelt schmerzt. Der Saaltext erwähnt lediglich den Pressefotografen Ludwig Hoffenreich; die Verdienste von Khasaq (Siegfried Klein), Heinz Cibulka oder Franz Hubmann werden nicht genannt. Überhaupt vermittelt die Schau den Eindruck, als würde auch die fotografische Leistung Muehl und Co zustehen. Gerne hätte man mehr über die Arbeitsweise zwischen Aktionisten und Fotografen erfahren: Wie viel Aufmerksamkeit bekam die Kamera während der Aktionen? Was brachte etwa Hoffenreich an Gestaltungsideen in die bis heute so faszinierende Bildsprache ein? Wie kam es zum Einsatz von Farbfilm, der doch in der Kunst damals noch als unwürdig galt? Der „chirurgische Blick“ schneidet nicht besonders tief.

WestLicht, bis 22.2.

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