Enthusiasmuskolumne
Diesmal: Der beste Drehort der Welt der Woche
Schottentor: Wiens urbanste Wiese
Treppen und Trubel, Zwiebelgeruch und Zugluft – das Schottentor nimmt man als Passant ja nur selten als das wahr, was es eigentlich ist: eine im Asphalt versenkte, kreisrunde Wiese. Im Sommer blühen darauf sogar Blumen.
So richtig beeindruckt einen der Ort vielleicht erst in der Gesamtansicht im Kino. Wenn einer die Kamera nimmt und um vier Uhr morgens vom Dach der Uni herunter filmt. So wie Johann Lurf in seinem experimentellen Kurzfilm „12 Explosionen“. Dann zeigt das Jonasreindl seine Eleganz.
In Lurfs Film, der auf dem Filmfestival Rotterdam gerade seine internationale Premiere feierte, wird in der Passage ein Sprengsatz gezündet. Ein Knall, etwas Rauch, und von oben sieht man eine flatternde Wolke von Tauben, die aufsteigt aus dem dunklen Kreis. Und in der Mitte unbeeindruckt: Wiens urbanste Wiese.
Ein anderer Regisseur flirtet auf sanftere Weise mit dem Drehort: Caspar Pfaundlers in Rotterdam uraufgeführter Spielfilm „Schottentor“ spielt über und unter der Erde, in und nahe der Passage. Dabei zeigt das Schottentor sein Talent als Location: Rolltreppen befördern die Darsteller aus allen Richtungen in die Szene, wahlweise gibt es einen Aufzug aus Glas.
Mit seinen Stehcafés und Pizzabäckereien, dem Blumenstand und der Trafik ist das Jonasreindl viele Schauplätze in einem; der ideale Begegnungsort. Ein Fleck blauer Himmel, Neonlicht – und abends gleitet warm leuchtend der 43er durchs Bild.
Pfaundlers Passagenwerk lüftet sogar ein wohlgehütetes Geheimnis: Endlich sieht man, was hinter den silbern gerippten Aluminiumtüren liegt. Ein schmaler Gang, ein Waschbecken, ein Spiegel. Wasserkübel mit Rosen und Tulpen. Und das erotische Rückzugsgebiet von Blumenfräulein Claudia, gespielt von Gerti Drassl.
Mögen andere ihre Krimis und Historienfilme weiter in kopfsteingepflasterten Gässchen drehen. Das Jonasreindl steht für Wien, wie es wirklich ist: schmuddelig, abgerockt. Aber zumindest lebendig.