Die Melancholie modernen Migrantentums
In seinem Roman "Lazarus" erweckt Aleksandar Hemon einen 1908 Ermordeten zu literarischem Leben
Buchkritik: Sigrid Löffler
Die Sache mit Lazarus ist in Chicago tatsächlich passiert, bleibt aber mysteriös. Am 2. März 1908 klingelte ein 19-jähriger Einwanderer, ein russischer Jude namens Lazarus Averbuch, an der Haustür des Polizeipräsidenten von Chicago. Der Bursche war unbewaffnet. Was er wollte, weiß man nicht. Vielleicht wollte er nur einen Brief abgeben. Der Polizeichef hielt ihn jedenfalls für einen Anarchisten und möglichen Attentäter und erschoss ihn in Panik.
Ein tragischer Fall von Überreaktion: Lazarus war 1903 als halbes Kind dem Pogrom im moldawischen Kischinjow entgangen und fünf Jahre später vor dem russischen Judenhass nach Amerika geflüchtet; doch keine sieben Monate nach seiner Ankunft im "Land der Freien" fiel er dort dem Fremdenhass zum Opfer. Seine Verbindungen zu Anarchistenkreisen waren bestenfalls peripher, doch einer amerikanischen Presse, die in patriotischer