Hundert Jahre Zeitausgleich
Befindlichkeitskolumne
Kärnten in uns
In Vorarlberg gibt es die steirische Landsmannschaft, in Graz den Verein der Kärntner und in Berlin den Club der Isländischen VerliererInnen. Letzte beide haben überhaupt mehr gemeinsam, als man denkt: feuchte, freundliche Landstriche, die von der Krise voll erwischt worden sind mit lustigen Bewohnern, die an Geister glauben und musikalischer sind als anderswo. Die Führung der einen hat sich auf die Caymans abgesetzt, die der anderen ist in einer nebligen Oktobernacht einfach verschwunden. Wie aber gehen die Menschen mit dem Schicksal um? Die einen, die zu ungefähr 75 Prozent aus Popstars bestehen, haben zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihre warmen Quellen verlassen, um Unzufriedenheit zu demonstrieren und eine neue Regierung zu wählen, die so ähnlich ausschaut wie die alte, aber doch verspricht, dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen und nicht mehr in Hirngespinste zu investieren. Die anderen haben Kerzen angezündet und eine Regierung gewählt, die verspricht, die gleiche zu sein wie vorher, aber aus Zombies besteht. Vielleicht gehen ja die Isländer den Kärntnern nur ein kleines Stück voraus? Vielleicht werden auch die Kärnter irgendwann mit ihrer Wut umgehen lernen, vielleicht aber auch nicht. Eine Wiener Psychotherapeutin sagte letzten Sonntag, da war sie schon sehr betrunken: "Weißt du, deine ganze Wut, deine ganze Ohnmacht ... Das ist alles in dir ... Kärnten ist in dir ..." Vielleicht hat sie recht.
Dramatiker Johannes Schrettle ist zwar kaum in Graz, dennoch weiß er immer was von dort zu berichten