Vor 20 Jahren im Falter
Wie wir wurden, was wir waren
„Zynismus kann eine sittliche Qualität sein“
Als es noch nicht so viele Zeitungen für Leser gab, war der Falter schon eine. Zumindest hatte er den Slogan „Zeitung für Leser“ aufgebracht, den seither eine Tageszeitung dankbar verwaltet. Das Titelblatt der Ausgabe zum Thema „Werbung“ beweist es. Wir bringen aber keine Auszüge aus diesem lesenswerten Schwerpunkt, auch keine aus einem Exklusivinterview mit – immerhin – Lech WaBesa, das der Falter hatte, und auch keine aus Konrad Paul Liessmanns Rezension von Ulrich Pothasts „Philosophischem Buch“. Wir zitieren aus einem Gespräch von Thomas Mießgang mit Karl Heinz Bohrer, dem Literaturwissenschaftler und Herausgeber der Zeitschrift Merkur.
Bohrer räumte ein, dass die Bundesrepublik nach dem „moralischen und politischen Debakel des Zweiten Weltkriegs moralische und politische Kategorien entwickeln“ musste, die gefehlt hatten, was die Machtübernahme von Hitlers „Räuberbande“ erst ermöglichte. Jetzt aber sei „die deutsche Politik auch davon gekennzeichnet, dass sie in einer Art wetterfreier Zone der Verantwortungslosigkeit im Großen auf der Rechten ihre Geschäfte macht und auf der Linken ein Refugium des einfältigen, provinziellen, bukolischen Lebens, jenseits der großen Städte und ihrer Verderbnisse, einrichten möchte. Rechts wie links sehe ich ein Defizit an Bereitschaft, wirklich politisch handeln zu wollen.“