Stadtrand

Urbanismuskolumne

Joseph Gepp
Stadtleben, FALTER 15/09 vom 08.04.2009

So absurd blau, dieser Baum!

Mitten im Prater steht ein blauer Baum. Okay, nicht mitten im Prater, eher an der Besiedelungsgrenze zwischen Wildnis und Zivilisation, an der Rustenschacherallee, neben einer Sporthalle und ein paar Cottage-Villen, die es sogar im Zweiten gibt. Der Baum steht dort einfach, er ist längst tot, blaue Blätter trägt er jedenfalls nicht. Irgendjemand muss ihn einmal angemalt haben, eine Schulklasse vielleicht oder eine Künstlergruppe oder ein nächtliches Absurditätskommando. Dabei wurde ganze Arbeit geleistet, denn zartblau ist der Baum nicht, sondern kräftig-deckend blitzblau bis zum letzten Ast. Man steht da mit offenem Mund, man möchte ihn fotografieren, diesen Baum, ihn malen oder ihn sich sonstwie einprägen, so irritierend blau ist er, wie er da steht unter seinen Tausenden braunen Artgenossen. Und man denkt, ein wenig farbliche Bewusstseinsbildung wäre auch sonst in der Stadt schön: ein blitzgelbes Haus in der Großfeldsiedlung zum Beispiel. Violettes Pflaster am Graben. Ein grün gefärbter Donaukanal. Bunt bis zur Schmerzgrenze. So sollte die Stadt sein.

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