Meinesgleichen
Aus der weiten Welt der Meinung
Musiktheater Kritik
Durch den gesamten Ligeti-Saal des Mumuth schlingt sich ein weißes Bretterband, in dessen hochgezogenen Schleifen man vorne oder hinten Platz nimmt, versetzt in die Mitte eines Passionsspiels nach Johann Sebastian Bach. Die Johannes Passion - zur einen Hälfte ein abgewandelter römischer Circus, mit Christus (David Park) als todgeweihtem Gladiator, zur anderen eine Riesen-Carrera-Rennbahn mit dem jüdischen Volk auf Wanderschaft in Endlosschleife.
Mit souveräner Stimme und deutlicher Gestik führte der slowakische Tenor Richard Tamas als Evangelist durch die Handlung. Sebastjan Vrhovnik aus Slowenien, selbst Studierender bei Johannes Prinz, leitete die Studierenden der Grazer Kunstuni in der Premiere. Während das Orchester bei hintergründig dramatischen Stellen gegen seine Zahmheit extra hätte angefeuert werden müssen, glänzten die opponierenden Chöre der reichen und der armen Juden meist in umsichtig gewählten Tempi. Von der zugespitzten Dramatik abgesehen, die sich durch Christian Pöppelreiters Inszenierung ergab, war auch das akustische Erlebnis bemerkenswert: Man war mitten in eine aufgefaserte Polyfonie versetzt, wenn ein Chor auf der Bretterbahn ganz nahe von hinten sang.
Besonders ergreifend gerieten die Chorszenen in der Mitte des Geschehens, als die reichen Juden, unschuldig weiß gekleidet, mit Panamahüten (Ausstattung durch den Mumuth-Architekten Ben van Berkel), gegen Pilatus (Patricio Ramos Pereira) eiferten. Die haltlose, artistische und auf bestialischen Ausdruck abzielende Chromatik Bachs wurde durch die Szene treffend verstärkt, zur Kreuzigung schenkte Pilatus blasphemisch den grinsenden Reichen Wein ein.
Mumuth, 8.4. 19.00