Knorrige Tiroler, dicke Damen und immer wieder Raben. Der weiße Rabe aber ist nicht mehr
Nachruf: Andrea Maria Dusl
Hungerburg, das gelbe Haus. Jeder Innsbrucker wusste, wer dort wohnte: ein eleganter Herr mit schlohweißem Haar, einem pfiffigen Blitzen in den Augen und jenem vom Lachen aufgefalteten Gesichtsgebirge, wie es nur Südtirolern in die Wiege gelegt wird. Hungerburg, eine ewige Adresse. Der Mann mit der ewigen Adresse ist nicht mehr. Paul Flora ist in der Nacht auf den 15. Juni in einer Innsbrucker Klinik im Kreis seiner Familie gestorben.
Als 15-Jähriger hatte der Vinschgauer sein Schlüsselerlebnis: Er sah Zeichnungen von Alfred Kubin und wusste, er wollte Zeichner werden. Er zeichne, räsonierte Paul Flora in einem Katalogtext, um sich selbst zu unterhalten. Er sei also ein gewöhnlicher Egoist, dem es nicht um die Rettung des Abendlandes ginge. Matisse habe sich dazu bekannt, Bilder zu malen, die wie bequeme Sessel wirken, Schwitters wiederum angemerkt, er sei Künstler, und wenn er ausspucke, sei dies Kunst. "Ich bin für Matisse", deklariert sich Paul Flora.
Mit der Rigorosität, die jede existenzielle Lust begleitet, saß Paul Flora täglich vor Mittag an seinem Tisch in der Floraburg und zeichnete. Schuf aus feinen Schraffuren, düster und melancholisch, zarte Wolken, in denen Harlekine turnten und Maskierte, kratzte nervöse Strichgewitter aus dem Blatt, die sich zu Bergen, Palästen und weiten Plätzen schoben, die von dicken Damen bevölkert waren, von hageren Bischöfen und knorrigen Tirolern. Und immer wieder zeichnete Flora Raben. Raben, Raben, Raben.
Privat unbestechlicher und unbeugsamer Homo politicus, hatte der Künstler Flora ein befreiendes Vergnügen daran, über sich und andere zu lächeln, ohne jemandem wehzutun. Mit milder Melancholie traf er, der sich stets als Unzeitgemäßen betrachtet hatte, dem Nagel der Zeit geradezu zärtlich auf den Kopf. Flora sei nicht ohne Traurigkeit, wusste Friedrich Dürrenmatt: "In seinem Werk sind Welten untergegangen, und wir ahnen, dass auch wir untergehen."