Phettbergs Predigtdienst

Ich bin meine eigene Oma

Kolumnen, FALTER 39/09 vom 23.09.2009

Hermes Phettberg führt seit 1991 durch das Kirchenjahr

Sommerfrische da geht’s mir besser als in der Hitze. Selbst wenn’s jeden Tag regnet, kann ich damit umgehen. Aber das Wetter trügt, die Erde ist überhitzt. Ich bin ein Mitläufer und würde schlecht dastehen, wenn ich unter die Lupe genommen würde. Nie hab ich mich wo fest eingesetzt. Und wenn ich jammere, alle „stürmten“ an mir vorbei: Was sollten sie sonst tun? Wem konkret habe ich je und wie real geholfen? Im Gegenteil, ich bin übernervös und rette mich nun in mein Krankheitsbild.

Als Kind saß ich am Traktor und weinte, als der Gendarm von Retz mir verbot, am Traktor zu sitzen. Ich weinte so lange, bis er mich sitzen ließ. Mein Hirn prägte sich also ein: Weinen ist eine raffinierte Methode. Bis zur Minute weine ich immer und sofort. Weinen und schlafen. Mehr vermag ich nicht mehr. Und ich sehe keinerlei Anzeichen, dass ich mich noch änderte.

All meine Jahre lebte ich versteckt wie ein Tier. Angst beherrschte mich immer. Doch längst sind alle um mich besorgt. Und während ich noch immer voller Angst vor allen zittere, ist längst das Gegenteil voll in Betrieb.

Bei meinem Spruch „Ich bin meine eigene Oma“ denke ich an meine „Wahloma“ Agnes Prem-Paier-Windisch. Einmal trat ich ihr so fest gegen das Schienbein, dass es mir noch heute wehtut! Ich weine schon wieder. Ich muss damit aufhören. Schon wieder renne ich davon. Aber immerhin brachte ich es zu meiner eigenen Oma. Wer hat so etwas schon?

An einem Regentag in diesem Sommer beschloss ich nach den Wegen zur Akupunktur, zur Bank, zum Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern und dem Heimweg, nicht ein fünftes Mal total nass zu werden. Ich kam mir direkt wie ein Nasssportler vor!

Als es um 15 Uhr noch immer regnete, zog ich mich komplett nackt aus und schaute Youtube mit dem Suchwort „Onliska“. Sie wissen schon alles ... Ich rief im Krankenhausbuffet an und sagte, dass ich für heute nass genug sei. Ich versorgte mich aus meinem Kühlschrank, schloss alle Fenster und freute mich darauf, bald zu nächtigen. Zuvor machte ich aber noch Ordnung. Ich bin nun auch mein eigener Nacktputzboy!

Nachdem das sonst niemandem Spaß macht, muss ich es selber tun, Duhsub!

Die ungekürzte Version des Predigtdienstes ist über www.falter.at zu abonnieren.

Unter www.phettberg.at ist wöchentlich neu zu lesen, wie Phettberg strömt

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