Enthusiasmuskolumne
Diesmal: Das beste Debüt-Jubiläum der Welt der Woche
Film ist: Kurzhaarschnitt & Kippen
Dieser Film ist ungehemmt bösartig, frei von jeder moralischen Tönung und hauptsächlich beschäftigt mit Erotik und dem rastlosen Vorwärtsdrängen eines grausamen jungen Tunichtguts.“
Hört sich an wie ein Empfehlungsschreiben für den glorios spastischen Actionslapstick „Crank: High Voltage“ (jetzt im Videothekenregal), stammt aber eigentlich aus einer Rezension, die in der New York Times 1961 über den Erstling des 30-jährigen Filmkritikers Jean-Luc Godard erschien: Das Blatt sah in „À bout de souffle“ („Außer Atem“), der dieser Tage vor genau 50 Jahren seine Erstaufführung erlebte, vor allem eine „Mitteilung über das wüste Verhalten und Gefühlsleben wurzelloser junger Menschen im heutigen Europa“.
Seitdem ist die aufgekratzt-melancholische Gangsterballade vom Kleinganoven Michel (famos albern: Jean-Paul Belmondo) und der amerikanischen Studentin Patricia (Kurzhaarschnitt des Jahrhunderts: Jean Seberg) schon vieles gewesen.
Für Godardianer der Urknall eines singulären Filmuniversums komplex geschichteter Welt-, Kunst- und Selbstbezüge (Faulkner! Mozart! Renoir!); für Frankophile eine autoritative Verdichtung Pariser Bohemeurbanität um 1960 (Schlendern über die Champs-Élysées! Zigarettenkippen aus dem Fenster werfen! Jazz-Score von Martial Solal!); für die Filmhistoriografie ein Zentralereignis der Nachkriegskinomoderne (zappelnde Jump-Cut-Stakkatos, steile Tempowechsel, agile Außenaufnahmen) – und der Beginn einer Traditionslinie cinephiler Genrefilminspektionen, die sich bis Tarantino weiterziehen lässt.
Die zentrale Rollenverteilung der Erzählung – unschuldig-kriminelles Mannskind vs. enigmatische, wankelmütige Kühle – ist mäßig toll gealtert, aber selbst nach einer Dekade voll verschwitztem Wackelkameraimpressionismus strahlt „À bout de souffle“ noch wirklich nervösen Drive aus: zu überprüfen ab Freitag im Gartenbaukino. Many happy returns!