Bilder für Männer und für Frauen, die vor dem Schreiben ganz genau schauen

Feuilleton, FALTER 13/11 vom 30.03.2011

Buchbesprechung: Daniela Strigl

Das im Herbst so erfolgreiche Projekt wurde nun wieder aufgenommen: 16 Schauspieler interpretieren die Texte von 16 Autoren zu 16 Bildern des Kunsthistorischen Museums simultan ebendort. Dass man die durchwegs besonderen Gelegenheitsarbeiten auch nachlesen kann, ist nicht nur bei strapaziös minutiös angelegten Exkursionen wie denen von Bodo Hell (Lorenzo Lotto) und Andrea Winkler (Jacobus Vrel) ein Gewinn. Die Palette reicht von der gediegenen Bildbeschreibung Walter Kappachers (Lukas Furtenagel) bis zu Elfriede Jelineks irrlichternder Fantasie über Velazquez’ Infantinnen. Erhellend sind gerade jene Texte, die mit der Bildvorgabe sehr frei umgehen: Paulus Hochgatterers unheimlicher Dialog im Flugzeug, der Correggios "Entführung des Ganymed“ in die zeitgenössische Angst vor dem Kinderverzahrer übersetzt; oder Clemens Setz’ Monolog des greisen Sebastian (von Mantegna), der angesichts der Pfeilreste in der Haut über den Tod räsoniert: "Wo geht das hin? Nicht einmal weh tut’s mehr.“ Am besten zu lesen vor Gerhild Steinbuchs Gedanken zum Respektheischenden der Kunst-Schönheit (zu Giovanni Battista Moroni) - die wiederum mit Thomas Glavinics raffinierter Rede der Nackten aus Rubens’ "Pelzchen“ (Foto) kontrastieren.

Zum Glück erliegen die Männer und Frauen des Wortes dem Eros des Schauens, keinem verkommt die Bildbetrachtung zur Pflichtübung. Auch die Fotos trumpfen nicht in Prachtbandmanier auf und setzen die Beiträger gebührend in Szene. Und wer wollte Franz Schuh widersprechen, der in Wolf Hubers Porträt des Humanisten Jacob Ziegler einen "Bündnispartner über die Jahrhunderte hinweg“ entdeckt: "Wahr ist nur, was man auch sehen kann - mit Ausnahme der Sinnestäuschungen.“

Jacqueline Kornmüller, Peter Wolf (Hg.): Ganymed Boarding. Fotos von Helmut Wimmer. Brandstätter, 112 S., € 29,90

Vorstellungen: KHM, 6., 13., 27.4., 19 Uhr

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