Die Mutter öffnet ein Glas mit Roten Rüben, den Kindern ist Gilles Deleuze geblieben
Filmkritik: Michael Pekler
Ein verfallendes Haus in der Obersteiermark, mitten im Wald. "Du willst es allen recht machen, da macht man Fehler.“ Der Vater (Johannes Krisch) glaubt dem an sein Totenbett angereisten Sohn (Philipp Hochmair) nicht, dass aus ihm ein guter Arzt geworden ist. In Wahrheit meint er sich selbst und seine Vergangenheit als Anführer einer Kommune. Bald darauf haben sich auch die anderen Kinder, die einander seit damals nicht mehr begegnet sind, zum Begräbnis versammelt - ein für die Freilegung familiärer Konflikten gern genommenes, idealtypisches Szenario.
Auch die "Vaterlosen“, das bei der Diagonale prämierte Langfilmdebüt von Marie Kreutzer, beginnt rasch und vehement mit seiner Grabungsarbeit, und so wühlen die ehemaligen Kommunardenkinder in Schubladen, lesen in Tagebüchern und hören Kassetten. Doch wie jede einzelne Einstellung in diesem Film dient auch das am Schluss gelüftete große Geheimnis nur als Vorwand, diese Versuchsanordnung am Laufen zu halten.
Die "Vaterlosen“ stecken in einem dramaturgischen und symbolischen Korsett: Jedes Ding aus der Vergangenheit - vom Taschenmesser über den Kuchenteller bis zu den aus dem nahegelegenen See verschwundenen Fröschen - ruft in der Gegenwart nach seiner Bedeutung: Wer als Bub ein Baumhaus hatte, klettert nun aufs Dach und hämmert Nägel in die Schindeln, derweil Gilles Deleuze gelesen wird und die Mutter ein Glas Rote Rüben aus dem Jahr 1987 aufmacht.
Darüber, wie die Kindheit die Gegenwart der Charaktere bestimmt hat, erfährt man indes fast nichts. "Familie und Freiheit, vielleicht ist das ja doch nur Theorie“, sinniert der Lebensgefährte der jungen Kyra (Andrea Wenzl), die als Achtjährige die Kommune mit ihrer Mutter verlassen musste und nun bei ihrer Rückkehr buchstäblich im Regen steht. Aber welche Haltung nimmt der Film zu alldem ein? Man weiß es nicht, weil er sich einer eigenen Sicht enthält.
Ab 8.4. in den Kinos