Wild, zornig, unverschämt, geil, tückisch

Peter Iwaniewicz
Sachbuch, FALTER 41/12 vom 10.10.2012

Biologie: Alfred Brehms subjektive, romantische, demagogische Tierbeschreibungen werden 150 Jahre alt

Alfred Edmund Brehm, Sohn eines Pfarrers aus Thüringen, wollte eigentlich Architekt werden und ging zuerst bei einem Baumeister in die Lehre. Als ein bekannter Ornithologe einen Begleiter für eine Afrika-Expedition suchte, brach Brehm sein frisch begonnenes Architekturstudium ab und bereiste in den nächsten fünf Jahren Ägypten, den Sudan und die Sinai-Halbinsel. Es folgten weitere Einladungen, die ihn nach Abessinien, Skandinavien und Sibirien führten.

Die Augen des Kolonialherren

Solche Erkundungsfahrten waren im 19. Jahrhundert noch wagemutige Unternehmungen ohne standardisierte naturwissenschaftliche Methodik. Man betrachtete die indigene Bevölkerung, die fremden Landschaften und die unbekannten Tierarten mit den Augen eines Kolonialherren, der diese neuen Welten mit dem moralischen Zollstock des Abendlands vermaß.

Als sich Alfred Brehm mit 25 Jahren in Leipzig niederließ, begann er als freier Schriftsteller zu arbeiten. Er bereitete die Erkenntnisse seiner Reisen populärwissenschaftlich auf und veröffentlichte diese in der damals sehr erfolgreichen Familienzeitschrift Die Gartenlaube.

Diese Reportagen aus der Tierwelt stießen beim aufkommenden Bildungsbürgertum auf so große Resonanz, dass der Verleger Herrmann Julius Meyer ein zehnbändiges Werk über das Tierreich für das Bibliographische Institut in Hildburghausen bei ihm bestellte. Die ersten Bände erschienen noch unter dem allgemeinen Titel "Illustrirtes Thierleben“ (sic!), doch schon ab der zweiten, erweiterten Auflage machte es ihn unter dem Namen "Brehms Thierleben“ weltweit bekannt.

Sein Verdienst als Autor war es, als einer der Ersten seiner Zeit gleichermaßen detaillierte wie auch vermenschlichte Schilderungen des Lebens von wilden Tieren zu liefern. Als Schriftsteller war er jedoch weniger studierter Naturwissenschaftler als Romantiker, der in seinen faunistischen Beschreibungen vor allem Gefühl, Leidenschaft und individuelles Erleben in den Mittelpunkt stellte.

Anders als sein Landsmann Karl May hatte er die fernen Kontinente tatsächlich bereist und ließ das aufkommende Bürgertum an der Exotik, Faszination und Bedrohlichkeit der belebten Welt teilhaben. Er beseelte die einzelnen Tierarten und schrieb über sie in einer Weise, die damals eine große Leserschaft ansprach, die wir heute aber eher als skurril und unobjektiv empfinden.

Vermenschlichte Tiere

Schimpansen hatte er ins Herz geschlossen, und so fiel sein Urteil über sie wohlwollend und direkt modern aus: "Einen solchen Affen kann man nicht wie ein Thier behandeln, sondern mit ihm nur wie mit einem Menschen verkehren. Ungeachtet aller Eigenthümlichkeiten, welche er bekundet, zeigt er in seinem Wesen und Gebaren so außerordentlich viel Menschliches, daß man das Thier beinahe vergißt. Sein Leib ist der eines Thieres, sein Verstand steht mit dem eines rohen Menschen fast auf einer und derselben Stufe.“

Andere Affenarten jedoch hatten bei ihm keine Chance: "Die Paviane sind alle mehr oder minder schlechte Kerle, immer wild, zornig, unverschämt, geil, tückisch; ihre Schnauze ist ins gröbste Hundeartige ausgearbeitet, ihr Gesicht entstellt, ihr After das Unverschämteste.“

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Auch der Naturschutz war seine Sache nicht. Bei der Kreuzotter lobt er zwar eingangs noch ihren besonderen Nutzen für den Bauern, da sie Schädlinge vertilgt, aber dann bricht doch wieder die Angst des Romantikers vor der Bedrohung durch die wilde, ungezügelte Natur hervor: "Und in der That, bei keinem deutschen Thiere weiter ist die rücksichtsloseste, unnachsichtlichste Verfolgung in demselben Grade gerechtfertigt wie bei ihr.“

Im Jahre 1863 erschienen die ersten Bände des "Illustrierten Thierlebens“. Anlässlich des runden Jubiläums im nächsten Jahr hat sich der Meyers Verlag der editorischen Herausforderung gestellt, eine Auswahl von Texten aus einer vergangenen Epoche neu herauszugeben.

PC und Demagogie

Im Vorwort zu dieser Neuausgabe findet sich daher auch gleich folgender Hinweis: "Wenn Brehm ein Tier für dumm oder feige, heimtückisch oder hässlich hielt, dann drückte er es auch in genau diesen Worten aus. Heutzutage wäre dies nicht zuletzt aus Gründen der, Political Correctness‘ undenkbar. Aber vermutlich liegt gerade darin der Reiz der vor 150 Jahre entstandenen Tierbeschreibungen.“

Leider kann man an diesem literarischen Reiz des 19. Jahrhunderts nicht wirklich teilhaben, denn die Originaltexte wurden - wie die Redaktion anmerkt - "notwendigerweise meist stark gekürzt“. Die Auslassungen werden zwar korrekt mit entsprechenden Klammerzeichen ausgewiesen, aber gerade deswegen bleibt beim Lesen der Eindruck zurück, es würde einem als Leser nicht zugetraut, diese Texte in all ihrer verblüffenden Subjektivität als Zeitzeugnisse verstehen zu können.

So liegen in dem Buch nur sehr allgemeine Beschreibungen vor, die wissenschaftlich oft schon überholt sind. Dabei könnte man vom Original-Brehm die hohe Schule der Demagogie erlernen, neben der sich die Rhetorik wahlkämpfender Politiker direkt zurückhaltend anhört: "Die Nashörner sind zwar nicht die plumpesten unter den Plumpen, aber doch sehr mißgestaltet.“

Der Charme dieses Bandes liegt vielmehr in den schönen, detailreichen Originalillustrationen des Tiermalers Gustav Mützel. Diese trugen damals erheblich zur Beliebtheit der "Thierleben“-Bände bei. Charles Darwin meinte in einem Vorwort zu einer schwedischen Ausgabe, es seien die besten Abbildungen von Tieren, die er je in einem Buch gesehen hätte.

Insofern kann man auch heute noch der Optik und Haptik dieses gedruckten Buches verfallen - ein gutes Beispiel dafür, welche bibliophilen Schwingungen E-Books eben nicht vermitteln können.

Brehms Thierleben: Eine Auswahl der schönsten Texte und Illustrationen. Redaktion: Jürgen C. Hess. Meyers, 160 S., € 30,90

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