Museen Kritik

Als der Ball noch durch die Gassen rollte

Lexikon, FALTER 48/12 vom 28.11.2012

Kartenspielende Frauen, 1890

Reifen treiben, 1920er-Jahre

Da haben wir auch gespielt“, sagt ein älterer Museumsbesucher, die Enkel an seine Kindheit zwischen Kriegsruinen erinnernd. Fotografien belegen jene inzwischen verschwundenen Freiräume, die Kinder zum Fußballspielen nutzten. Auch auf den Grünflächen außerhalb der Stadtmauern, dem sogenannten Glacis, tollten Kinder herum, belegen historische Fotografien in der Ausstellung "Spiele der Stadt. Glück, Gewinn und Zeitvertreib“. Mit großem Fachwissen und spürbarer Begeisterung für die gesellschaftsverändernde Kraft des Spielens spannen die Kuratoren Brigitte Felderer, Ernst Strouhal und Manfred Zollinger den Bogen von den adeligen Salons bis zu den heutigen Automatenhallen. In der Sammlung des Stadtmuseums konnten sie dabei aus dem Vollen schöpfen. Hier finden sich zahlreiche Brett- und Kartenspiele, etwa die Conversations-Spiele oder der Gigerl-Tarock.

Viel zu klein sind die Ausstellungsräume, um alle Nebenstränge dieses faszinierenden Themas würdigen zu können. So entwickelte sich Wien um 1900 zur Schachmetropole, das Kaffeehaus war die inoffizielle Schachuniversität. Auch die Arbeiterschaft entdeckte das Spiel für sich, die Sozialdemokraten betrachteten Schach als Therapie gegen den Alkohol und das Glücksspiel.

Stets war das scheinbar Unpolitische mit gesellschaftlichen Kämpfen verbunden. So mussten Frauen die öffentlichen Billardtische verlassen, da der mit dem Queue-Gebrauch verbundene Körpereinsatz als unsittlich galt. Dennoch trafen sich "Billardärinnen“, um dieses Verbot zu umgehen. Ein echter Trumpf ist das gezeigte Beispiel der verspielten Reformpädadogik, der von den Bauhäuslern Franz Singer und Friedl Dicker entworfene Kindergarten im Goethehof. Die Schau ist informativ und unterhaltsam, ein Spaß für die ganze Familie. MD

Wien Museum Karlsplatz, bis 2.4.

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