Wüstes Land

Als Sprachbild für Widerstand und Aufbegehren gibt es die obskure Redensart „wider den Stachel löcken“, deren Sinn sich nur in alten Agrargesellschaften erschließt.

Kolumnen, FALTER 3/2015 vom 13.01.2015

Als Sprachbild für Widerstand und Aufbegehren gibt es die obskure Redensart „wider den Stachel löcken“, deren Sinn sich nur in alten Agrargesellschaften erschließt. Vor den Pflug gespannte Ochsen wurden nicht mit Zügeln, sondern, wie Arbeitselefanten in Südostasien, durch einen spitzen Stock, den Stachel, gelenkt. Dagegen revoltierten die Rinder gelegentlich mit Huftritten gegen ihre Peiniger, die diese Insubordination erst recht durch zusätzliche Stiche bestraften.

Auch Medien stellt sich zurzeit aufgrund der Ereignisse in Frankreich die Frage, ob sie gegen den Stachel löcken wollen oder sogar müssten. Indem sie beispielsweise kritische Bücher besprechen, Cartoons abdrucken oder einen Kommentar über den Beruf der Kameltreiber oder den Unsinn religiöser Speisegebote schreiben. Aber gerade Kamele eignen sich gar nicht für Schmähreden. Interessanterweise finden sie in Europa nur als Schimpfwort Verwendung, dabei sind ihre Eigenschaften bewundernswert: Als Schutz gegen Sand und Staub haben ihre Augen eine doppelte Reihe von gekräuselten Wimpern. Trotz vergleichsweise dünner Beine können Kamele fast eine halbe Tonne Gewicht tragen. Einzigartig ist das Blut der Kamele: Sie können fast ein Drittel ihres Körpergewichts an Wasser verlieren, ohne dass ihr Blut zu dick wird. Alle anderen Säugetiere einschließlich des Menschen sterben bei viel geringeren Flüssigkeitsverlusten an Hitzschlag, da Blut mit zäher Konsistenz nicht mehr in die feinen Kapillaren fließt und kein Wärmeaustausch mit der Umgebung mehr stattfinden kann.

Das Alte Testament hingegen zeigt sich nicht so begeistert von diesen Tieren und verbietet den Verzehr von Kamelfleisch, „weil es keine gespaltenen Hufe hat“. Da Kamele zu den Paarhufern gehören, ist es aber die falsche Begründung. An ihren Füßen tragen sie je zwei Zehen, die durch dicke Sohlenpolster geschützt sind. Im Islam hingegen gehört das Kamel zu den Tieren, deren Fleisch gegessen werden darf. Auch ihr Speichel, Urin und Kot gelten als rein. Dass Kamelmilch und Kamelurin als Heilmittel empfohlen werden, belustigt manche Europäer. Mohammedaner lachen hingegen darüber: „Was ist der Unterschied zwischen einem Kamel und einem Christen? Das Kamel kann sieben Tage arbeiten, ohne zu saufen.“ Genug gelöckt für diesmal.

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