Haftbefehl auf "Lass die Affen aus'm Zoo"-Tour

Neue Platten, FALTER 6/2015 vom 04.02.2015

Grob gesagt lässt sich die Entwicklung des deutschsprachigen Hip-Hop in vier Phasen einteilen. Zuerst musste er in den frühen 1990ern laufen lernen: Spaßrapper und hüftsteife Gymnasiasten waren daran beteiligt, Alte-Schule-Prediger und schwere Jungs. Das war interessant, richtig toll war es nicht. Um die Jahrtausendwende fanden funky Beats und ausgeschlafener Wortwitz dann unter Aufsicht Hamburger Bands wie Beginner oder Eins Zwo plötzlich auch auf Deutsch scheinbar problemlos zusammen. Auf den Hamburger Schmäh folgte die Berliner Härte, prototypisch verkörpert durch Bushido, der jahrelang demonstrierte, wie man Scheiße in Gold verwandelt: Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Gewaltverherrlichung, zu schlechten Beats in holprige Reime gepackt und damit sehr, sehr viel Taschengeld abgegriffen.

Seit einigen Jahren ist nun Phase vier angebrochen. Unterschiedlichste stilistische Entwürfe stehen nebeneinander, von harten Jungs mit schmerzhaft dicken Eiern reicht das Programm bis zu schnuckeligen Typen mit Pandamaske. Das ist nicht nur künstlerisch so interessant wie nie zuvor, es hat sich auch kommerziell etabliert: Rap zählt gegenwärtig zu den erfolgreichsten Genres im deutschen Pop; "Hip-Hop ist die neue deutsche Volksmusik", analysierte der Spiegel Ende letzten Jahres.

Der Satz findet sich in der begeisterten Kritik von "Russisch Roulette", dem vierten Album des Offenbacher Rappers Haftbefehl, einem der momentan spannendsten Protagonisten des deutschen Hip-Hop. Der 29-Jährige, der eigentlich Aykut Anhan heißt, war als Teenager Drogendealer, was er in seinen Texten allerdings nicht abfeiert, sondern poetisch verdichtet und mit einer durchaus verwirrenden Mischung aus Nähe und Distanz reflektiert. Dass das Album, das ihn jetzt auch nach Wien führt, mit einem Stück namens "Ihr Hurensöhne" losgeht, in den Texten zwischen Hasch und Crack allerlei illegale Substanzen auftauchen und letztlich kein Arsch ungefickt bleibt, überrascht nicht wirklich. Ganz im Unterschied dazu, wie fett die am US-HipHop der frühen 1990er geschulten und zeitgemäß auffrisierten Beats daherkommen und wie mitreißend Haftbefehls Vortrag ist.

Flex, Fr 20.00

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